Ausgebremst von 16 Modulen

■ Fördern, fordern, fallenlassen? Mitnichten, erklärt die Senatorin. Die Sozialamts-Reform soll helfen, trotz weniger Geld mehr Qualität zu liefern

Ein roter Punkt auf der Akte bedeutet Bewegung: Dieser Mensch, dessen Existenz im Papier zwischen den braunen Pappdeckeln in bürokratische Worte gefasst ist, sei zu „aktivieren“. Fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt, rauszubringen aus dem Bezug von Sozialhilfe. 4.500 SozialhilfeempfängerInnen haben das Potenzial dazu, glaubt man im Amt für Soziale Dienste (AfSD) und will so bis zum Jahr 2005 24 Millionen Euro an Sozialhilfe einsparen.

In den Sozialzentren durchforsten die Beschäftigten derzeit ihren Bestand von 46.500 Bremer HilfsempfängerInnen, kleben rote Punkte auf Akten, die sie von einem Zimmer ins nächste schaufeln: Die mit Punkten kommen zu den „aktivierenden Fallmanagern“. Zwei von ihnen arbeiten zunächst in jedem Sozialzentrum, bis zu fünf können es werden, wünscht sich AfSD-Leiter Jürgen Hartwig. Er wünscht sich noch mehr, nämlich den großen Amtsdampfer auf neuen Kurs zu bringen. Weg vom Bild der Verwalter von Bittstellern, hin zum Dienstleister für Kunden. Eine Reform von innen, betont Hartwig, die er zwar angestoßen habe, die aber die MitarbeiterInnen selbst entworfen und umgesetzt hätten. Die Theorie finden alle gut. Die Praxis lässt noch zu wünschen übrig.

Statt der bisher vier Abteilungen des AfSD sind jetzt zwölf Sozialzentren in allen Bremer Bezirken für die HilfeempfängerInnen zuständig. Mehr Bürgernähe wollen die Amtsmitarbeiter so bieten. Mehr unbürokratische Absprachen von Tür zu Tür soll es geben statt langwieriger Schriftwechsel. Service-Mitarbeiter sollen für Hilfesuchende jederzeit, auch ohne Termin, eine erste Anlaufstelle sein, ihnen den richtigen Ansprechpartner nennen und einen Termin ausmachen. Überhaupt wollen sich die MitarbeiterInnen künftig mehr am Einzelnen orientieren. Bezeichnend hierfür sind die aktivierenden Fallmanager, die mit SozialhilfeempfängerInnen, die arbeiten wollen oder von denen das Amt meint, sie könnten, eine Art Wiedereingliederungsabmachung treffen. Ziel ist ein Job im ersten Arbeitsmarkt. Der Weg dorthin kann aus Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen bestehen, aus der Teilnahme an einem Assessment-Center, wenn der Betroffene gar nicht weiß, in welche Richtung er gehen soll, oder auch aus der Finanzierung einer Kinderbetreuung für die allein erziehende Mutter. „16 Module, die eine Lebenssituation belastend machen können“, haben Hartwig und seine Leute ausgemacht – Faktoren wie fehlende Ausbildung, gesundheitliche Beeinträchtigungen oder fehlende Kinderbetreuung, die zur reinen Arbeitslosigkeit dazukommen und die Hilfeempfänger ausbremsen. Hier soll geholfen werden. Wenn einer sich partout nicht helfen lassen will, dann drohen Sanktionen. Paragraph 25 des Bundessozialhilfegesetzbuches lautet: „Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nachzukommen, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.“

Jedes Sozialzentrum hat ein eigenes Budget – für alle zwölf beträgt es 390 Millionen Euro pro Jahr. Nicht die Sparzwänge hätten die Budgets diktiert, betont Amtsleiter Hartwig, sondern vorangegangene Übereinkünfte der Mitarbeiter, wem mit welchen Maßnahmen zu helfen sei. Diese Form der „Zielbudgetierung“, sagt Hartwig stolz, „ist neu in dieser Republik.“

Während rund ein Zehntel der Bremer Hilfeempfänger künftig also wollen soll, bleiben viele, die schlicht nicht können – weil sie krank sind, alt oder behindert. „Wir wollen niemanden aus der Sozialhilfe drängen, der diese Unterstützung benötigt. Ich denke dabei insbesondere an ältere oder kranke Menschen“, erklärte Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) bei ihrer Besichtigung des einstigen Amtes für Soziale Dienste im Tivoli-Haus am Bahnhof, heute Sozialzentrum Mitte/östliche Vorstadt. Nicht nur, dass bunte Wände graue Kahlheit ersetzen, eine Spielecke vor Tigerente und Biene Maja da ist, wo zuvor graugelbes Linoleum an graubeige Wand stieß – mit der äußeren Erneuerung geht ein inneres Umkrempeln einher. Eine der zwei FallmanagerInnen im Amt kann noch nichts über ihre Arbeit sagen: Sie sei am Start, leere Regale und Aktenberge auf dem Boden dokumentieren die Neusortierung.

Für rund 2.900 HilfeempfängerInnen ist das Amt Mitte zuständig – 600 davon seien „Aktivierungsfälle“, sagt Amtsleiter Frank Nerz. Die Hälfte etwa erledige sich „unterwegs“, die andere Hälfte hat mit den 16 belastenden Modulen zu tun und bedarf der besonderen Hilfe. Nach und nach sollen sich die aktivierenden Fallmanager die gepunkteten Akten greifen, während die anderen knapp 40 Mitarbeiter das tun, was sie bisher auch taten: Anträge bearbeiten, „sichern“, so heißt das im neuen Deutsch des AfSD.

Zuwenig Personal für zu viel Menschen, monieren die Personalräte im Amt. Sie beobachten, „dass der Fokus vor allem auf Menschen gerichtet ist, die in den ersten Arbeitsmarkt gebracht werden können“, sagt Personalrat Burkhardt Radtke, „wir befürchten, dass die anderen darüber etwas in Vergessenheit geraten.“ Das ist bereits der Fall: Hatten die so genannten „sichernden Sachbearbeiter“ bisher 126 Fälle pro Nase zu bearbeiten, sind es jetzt rund 160. Die Folge: Die Bearbeitungszeiten von Anträgen werden länger. „Konkret kann das heißen, dass eine Familie, die beispielsweise einen neuen Staubsauger beantragt, Monate warten muss oder ihn vielleicht gar nicht bekommt“, sagt Radtke.

Das hat weniger mit der amtlichen Neuorientierung aufs Beine-machen zu tun, sondern mit einer rigiden Personalquote, die AfSD-Chef Hartwig bis ins Jahr 2005 erfüllen muss. 100 Stellen muss er bis dahin eingespart haben. So lautet die Vorgabe des Personalentwicklungsplans (PEP) für sein Amt. Das Durchschnittsalter liegt inzwischen bei 53 Jahren – die hohe Belastung führe wiederum zu einem hohen Krankenstand, was noch mehr Arbeit für die noch Gesunden mit sich bringt, erklärt der Personalrat. Perfide PEP-Quote: „So lange wir die Einsparung der 100 Stellen nicht erbracht haben, können wir nicht einstellen“, erklärt Personalrat Radtke, „so machen wir uns selber kaputt.“

Susanne Gieffers

Bitte vormerken: taz-Veranstaltung „Fördern, fordern, fallenlassen – Arbeitsmarktpolitik auf neuen Wegen“ am 2. Mai um 19.30 Uhr in der Kesselhalle des Schlachthofs.