Wriezen ist nun mal nicht New York

Eine blasse Frau mit Augenringen und langen dunklen Haaren: argus fotokunst zeigt Aufnahmen der Fotografin Ute Mahler aus seligen DDR-Zeiten

Die schönen Gesichter der Models, die puppenhaft jung sind, apart oder markant

Der westdeutsche Fotograf André Rival inszeniert Ariane Sommer in märchenhafter Pose: dick geschminkt auf einer Frühlingswiese, in einem weißen, blickdurchlässigen Nachthemd, mit Kunststoffreh. Sommer ist die Bambifee im Disneypark, Rival steht als lustiger Puck daneben.

Die ostdeutsche Fotografin Ute Mahler zeigt auf „Petra, Wriezen 1981“ eine blasse Frau mit Augenringen und langen dunklen Haaren. Petra trägt ein blickdichtes weißes Nachthemd mit Rüschen. Sie sitzt in ihrem Bett und hinter ihr lugt ein Plastikreh hervor. Das Reh ist niedlich, Petra nicht. Schwermütig schaut die junge Frau an der Kamera vorbei, in den Tag, die Nacht, in die Zukunft oder in die Leere. Man weiß es nicht. Das Schwarzweißbild lässt ihr das Geheimnis, die Unbestimmtheit. Aber eines leuchtet hervor: die Tristesse der Provinz. Wriezen ist nun mal nicht New York.

Das Vage darstellen, künstliche Situationen kreieren, Menschen mit dem entrückten Blick ihrer inneren Tag-und-Nacht-Gleiche abbilden – Ute Mahler ist eine Meisterin in diesen Dingen. Ihre Fotos sind eindringlich, selten lustig, zuweilen absurd.

Die Galerie „argus fotokunst“ stellt derzeit 53 Fotos von Ute Mahler aus, die zwischen 1973 und 1992 entstanden sind. Es ist dies die erste Einzelausstellung der Fotografin seit dem Mauerfall. Zu beschäftigt sei sie gewesen, meint Galerist Norbert Bunge, um an ihre Ausstellung zu denken, und zu uneitel.

Nun, alles kann Pose sein. Beschäftigt ist Ute Mahler wohl, die Mitbegründerin der „Ostkreuz“-Fotoagentur gehört derzeit zu den meistgebuchten Fotografen Deutschlands. Sie arbeitet unter anderem für Merian, Spiegel und das New York Times Magazine. An eine Ausstellung habe sie lange nicht gedacht. Nun gibt es eine, die gänzlich auf Aktuelles verzichtet und dafür Aufnahmen zeigt, die in einem ebenso bizarren wie durchdringender Kraftakt an die versunkene DDR erinnern. Denn Ute Mahler, Jahrgang 1949, studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Ab 1974 arbeitete sie freiberuflich als Fotografin für die DDR-Legende, die Modezeitschrift Sibylle.

Mahler mixt in ihren frühen Mode- und Porträtfotos Alltägliches mit Künstlichem und fängt sehr intensive Momente ein. Sie fixiert einen merkwürdigen, unwirklichen Ausdruck von Schönheit, in dem die Spuren des Verfalls eingeschrieben sind. Ihre Models, die alle Amateurinnen waren, weil es in der DDR den Modelberuf nicht gab, werden von der Kamera sehr persönlich aufgenommen: Mahler, obwohl sie mit geometrischen Barockgärten oder undefinierten Ödlandschaften künstlich wirkende Umgebungen für ihre Modesettings auswählt, ist es am Blick der Menschen gelegen. Und so schaut man in die schönen Gesichter der Models, die puppenhaft jung sind, apart oder markant, und die immer ernst zurückschauen, mit geradezu gotischer Schwere. Gelacht wird nicht, wozu auch. Es ist die Zeit der latenten Depression, die sich durch gelegentliche Ausflüge in die Absurdität aufheitert. Wenig später wird man Musik von AG Geige und Joy Division hören.

Das Reh in Petras Rücken wirkt unheimlich, obszön, weil sich seine Unschuld nicht mit dem Fortgetragenwerdenwollen in Petras Blick, ihrem albernen Kleinmädchennachthemd und der Ortsangabe „Wriezen“ deckt. Die Depression des Ostens. Der reale Spielraum ist begrenzt, und so richtet man sich in den imaginären Welten ein: Traum, Kunst, Rausch.

In der DDR wurde viel gesoffen. Mahler fotografiert neben der Mode auch Erste-Mai-Demonstrationen mit lachenden Jungpionieren und Trinkfeste, wo man schon mit dem Kopf auf dem Tisch liegt, Erotikshows in Sperrholzhotels in Karl-Marx-Stadt und Ehepaare in der guten Stube, die aneinander vorbeischauen. Ein junges Paar in Hochzeitskleidung steht im „Jugendzimmer“ des Elternhauses, die Wände sind mit Verpackungsmüll aus dem Westen tapeziert – mit „Weißer Riese“- und Pralinenschachteln. Auf der Bettkonsole stehen zur Zierde leere Berliner-Kindl-Büchsen. Die Kleider der aparten Sibylle-Models, die Ute Mahler in den späten Siebzigern aussehen ließ wie Roxy-Music-Covergirls, konnte sich keine Frau im Geschäft kaufen. Weil sie nie produziert wurden. Schnittmuster lagen der Zeitschrift bei, aber oft gab es keinen guten Stoff. Da war man froh, wenn man Westverwandte hatte, die Pakete mit abgetragenen Sachen schickten. Dumm nur, wenn neben den Blusen mit Haifischkragen, Dederonstrumpfhosen und Aldi-Kaffee nichts Brauchbares dabei war. Das konnte man in den Achtzigern nicht tragen. Nicht einmal im Osten. JANA SITTNICK

Fotografien von Ute Mahler, bis 26. Mai, Galerie „argus fotokunst“, Mi.–So. 14–18 Uhr, Marienstraße 26, Mitte