Magdeburg setzt sich die Krone auf

Der deutsche Handball-Meister gewinnt das finale Rückspiel gegen Fotex KC Veszprém mit 30:25, sichert sich damit als erste deutsche Mannschaft den Sieg in der Champions League und fühlt sich völlig zu Recht als die Nummer eins in Europa

„Wir wollten gar nicht Geschichte schreiben. Wir wollten dochnur gewinnen.“

aus Magdeburg FRANK KETTERER

Frisch geduscht und mit ernster Miene trat Alfred Gislason vor die Kabinentür, wo es doch noch zum Zusammenstoß mit der versammelten Presse kam. „Was wollt ihr denn hier?“, raunzte der Trainer des SC Magdeburg der kleinen Meute in einigermaßen strengem Ton mit seiner dunklen, isländischen Stimme zu. Dann verflog der Ernst im kantigen Gesicht des Hünen und ein sonniges Grinsen brach sich Bahn, so breit wie das Kreuz des Magdeburger Handballtrainers, das ein beachtliches ist und Möbelpacker-Ausmaße besitzt. Mindestens.

Aber es gab an diesem Samstagnachmittag in der Magdeburger Bördelandhalle für den Trainer des deutschen Handball-Meisters ja auch wirklich beachtlichen Grund, sich zu freuen wie ein isländischer Schneekönig, weil in den knapp zwei Stunden zuvor doch endlich geschehen war, was Gislason selbst danach noch als „utopisches Ziel“ beschrieb, auf dessen Erreichen man freilich „so lange gewartet“ und hingearbeitet habe: Der SC Magdeburg hatte den ungarischen Meister Fotex KC Veszprém mit 30:25 geschlagen, damit als erste deutsche Mannschaft überhaupt die Champions League gewonnen und sich die Krone des europäischen Vereinshandballs aufgesetzt. Ob der SC Magdeburg nun das beste Handballteam Europas sei, wurde Gislason von einem der Presseleute ob dieser Fakten gefragt. Und der Trainer antwortet mit einem so festen „Ja“, dass Zweifel an seinen Worten erst gar nicht aufkommen konnten. Dann wurde Gislasons Grinsen noch breiter, und die Worte sprudelten aus dem sonst eher schweigsamen Mann nur so hervor: dass dieser Champions-League-Sieg sein „größter Erfolg“ sei, dass ihn dieser „unheimlich stolz“ mache und überhaupt: dass man all diese Glücksgefühle in ihm drin nur „schwer beschreiben“ könne, wo er doch selbst noch „gar nicht richtig begriffen“ habe, was sie da Großes vollbracht hatten an diesem Samstagnachmittag.

Das wird noch kommen, glaubt Stefan Kretzschmar, der einheimische Star der Mannschaft, auch wenn das durchaus ein paar Tage dauern könne. Schließlich war der Druck, der vor der Partie auf der Mannschaft gelastet hatte, nahezu ins Unermessliche gewachsen, vor allem nach der nur knappen 21:23-Niederlage im Hinspiel vor einer Woche. „Jeder hat doch erwartet, dass wir das Ding gewinnen“, sagte Mannschaftskapitän Steffen Stiebler. Und vielleicht fühlte sich das Gefühl, das Linksaußen Kretzschmar empfand, als es endlich vollbracht war, auch deshalb „irgendwie komisch“ an: Weil selbst das Ventil des großen Sieges einfach zu klein war, um all den großen Druck auf einmal entweichen lassen zu können. „Da muss es erst mal Klick machen“, glaubte der Linksaußen und deutete dabei auf seinen Schädel, den ein golden eingefärbter Irokesenschnitt schmückte. Immerhin: Dass er nach Vizeeuropameisterschaft mit der deutschen Nationalmannschaft im Frühjahr und nun dem Champions-League-Sieg die „sportlich größte Zeit meiner Karriere“ erlebt, war „Kretzsche“ schon am Samstag durchaus bewusst. Lediglich mit dem Einordnen in historische Dimension tat er sich noch schwer. „Wir wollten doch gar nicht Geschichte schreiben“, sagte der 29-Jährige. „Wir wollten doch nur gewinnen.“

Schon das war schwer genug, weil Veszprém sich erneut als ebenso kompakte wie erfahrene Mannschaft präsentierte, die vor allem in der Defensive herzhaft zuzupacken weiß. Zwar schien beim 5:1 nach exakt 5:21 Minuten bereits alles pro Magdeburg gelaufen, beim 7:7 nach knapp einer Viertelstunde aber erwies sich das als Trugschluss; gleiches galt für die 15:10-Pausenführung, weil das Zwei-Tore-Polster nicht erst beim 27:24 (56.) doch wieder in Gefahr geraten war. „Am Ende waren es nur noch die Nerven“, sagte Steffen Stiebler – und die hielten bei den Magdeburgern. Spätestens nach dem Treffer zum 29:25 von Olafur Stefansson, mit sieben Toren bester SCM-Werfer, 41 Sekunden vor Schluss, war sich dann auch der Trainer darüber im Klaren, „dass wir es geschafft haben“.

Der Triumph in der Champions League dürfte Gislason freilich nicht nur als „größter Erfolg“ gelten, sondern gleichsam auch als Nachweis, selbst in schwieriger Situation, in die der Verein im Verlauf der Saison durch so mancherlei Verletzung gerutscht war, alles richtig gemacht zu haben, den Verzicht auf wiederholte nationale Ehren inbegriffen. Schon vor „drei, vier Wochen“, gab Magdeburgs Manager Bernd-Uwe Hildebrandt zu, habe man sich in kleinem Kreis zusammengesetzt und schließlich beschlossen: „Wir lassen die Meisterschaft sausen und konzentrieren uns ganz auf die Champions League.“ Gesagt, getan, am deutlichsten bei der 23:38-Pleite beim TV Großwallstadt zehn Tage vor dem großen Finale, wo nahezu sämtliche Stars geschont wurden. „Ein Pokerspiel“ sei das gewesen, geben Trainer wie Manager unisono zu, nun haben sie den Jackpot geknackt. Und ganz nebenbei die Erkenntnis gewonnen, dass es extrem schwer ist, beide Titel, also nationale wie internationale Meisterschaft, in einem Jahr unter einen Hut zu bringen, schon weil es weltweit keine so ausgeglichen starke Liga gibt wie die Bundesliga. Andererseits gibt es ja auch ein nächstes Mal und so muss aufgeschoben keineswegs gleich aufgehoben sein.

„Nach jedem Erfolg kommt das nächste Ziel“, hat Gislason nämlich noch gesagt, damit aber explizit und ausschließlich das erneute Erreichen des Champions-League-Finales gemeint. Die Aktien dafür scheinen schon jetzt gar nicht so schlecht zu stehen, weil lediglich der Franzose Guéric Kervadec den SCM verlässt; dafür aber der Isländer Sigurdsson und der Pole Skatschek zum ohnehin hochklassig besetzten Ensemble stoßen. Überhaupt, so Manager Hildebrandt, habe man schon auf dem Weg zum großen Triumph darauf geachtet, „die Zukunft einzuläuten“, zum Beispiel durch die Integration junger Kräfte aus dem eigenen Handballinternat wie Uwe Mäuer oder Bennet Wiegert. „Wir haben über ein paar Jahre hinweg Leute verpflichtet, die Siegertypen sind, wir haben eine Halle gebaut, und wir haben die beste Jugendarbeit in Deutschland“, strich auch Stefan Kretzschmar die Magdeburger Optionen auf eine rosige Zukunft heraus, bevor er sich samt Mannschaft per Autokorso aufmachte zum „Alten Markt“, wo tausende von Fans die Helden erwarteten, was auf eine lange Nacht schließen lässt. Ob er in dieser überhaupt ins Bett komme, wurde „Kretzsche“ vor Abfahrt des Triumphzuges noch gefragt. Und geantwortet hat er: „Logisch. Schließlich haben wir am Mittwoch ein schweres Bundesligaspiel.“ Dann hat er mindestens so breit gegrinst wie sein Trainer.