Chefsache wird zur Nebensache

Der Dresdner taz-Kongress diskutierte aus aktuellem Anlass die Erfurter Ereignisse

DRESDEN taz ■ Das Thema war richtig gesetzt: „Chefsache Ost“, Kanzlers Engagement in und für die neuen Länder sollte eine Woche nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt und wenige Tage bevor die CDU ihr „Neue-Länder-Konzept“ präsentiert, diskutiert werden. Doch dann war Erfurt, und die Chef- wurde zur Nebensache.

Auch der taz kongress on tour plante um – und fragte nach möglichen Zusammenhängen zwischen den Ereignissen von Erfurt und der Situation in den neuen Ländern. Einen direkten Bezug, so der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Hans Geisler, gebe es zwar nicht. Doch „wer sieht, was junge Menschen in diesem Aufbau Ost täglich von Mecklenburg bis Thüringen erleben“, erfahre viel über Leistungsdruck in der Gesellschaft, sagte Werner Kuhn, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder: „Du musst alles bringen, um am Markt bestehen zu können“, sei da die unbarmherzige Devise.

Tenor auch bei den zahlreichen Mitdiskutanten im Marta-Fraenkel-Saal des Deutschen Hygiene-Museums: Ein möglichst hochwertiger Schulabschluss, das „Statussymbol“ Abitur, spielt heute eine fast zu große Rolle. „Auf uns hat damals die Gesellschaft gewartet, es war klar, dass wir es irgendwie schon schaffen“, meinte der ehemalige Karlsruher Oberkirchenrat und jetzige Dresdner Sozialbürgermeister Tobias Kogge (47). In den neuen Ländern warte niemand: „Wenn Sie 20 oder 30 Bewerbungen abgeben und alles tun, um überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, kann man das nicht mehr freie Berufswahl nennen.“ Als Erklärung für den Amoklauf in Erfurt, tauge das allerdings genauso wenig wie die wenigen bekannten Informationen über den Täter: „Im Nachhinein hört man immer Signale.“

Dass heute Perspektiven neben und unabhängig von den allgegenwärtigen Leistungskriterien fehlen, war wohl das eindeutigste Signal der Dresdner Diskussion: „Jeder hat seine Würde, unabhängig von Leistung“, formulierte Geisler das Ideal. Die Realität, innerhalb und außerhalb von Schule und Elternhaus, sieht anders aus, und gerade diese tägliche Erfahrung führe vielfach zu Resignation. „Zeit, Zuwendung und Zukunft“, lautet die Forderung aus Dresden. Im Publikum und bei den drei Politikern auf dem Podium – die, auch das ein taz-Novum, alle der CDU angehörten. STG