... und raus bist du!
: taz-Debatte „Berlin nach Pisa: Wo bleibt die Chancengleichheit?“ (Teil 4) Von Erhard Laube

Auf die Mischung kommt es an

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz. Letzte Woche: Andreas Heintze über „Falsche Kinder? Falsche Schulen?“ Nächste Woche: „Die Erzieherinnenausbildung – eine überfällige Reform.“ Von Barbara Schmitt-Wenckebach.

Deutschland ist das Land, in dem wie in kaum einem anderen der Welt Bildungspolitik von der Vorstellung geprägt wird, durch homogene Leistungsgruppen ließen sich bessere Schulerfolge erzielen. Wir haben ein gegliedertes Schulsystem, in dem die „schlechteren“ Schüler in Hauptschulen abgeschoben werden und die Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen untergebracht werden. In Berlin wird jetzt auch zunehmend für Grundschulen äußere Leistungsdifferenzierung angestrebt. Länder, die bei Pisa gut abschneiden, kennen diese Ausdifferenzierung nicht. Die Pisa-Studie beweist: Heterogenität ist gefragt. Der erfolgreiche Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen in einem integrativen Lernsystem verhindert auch nicht Spitzenleistungen. Im Gegenteil: Diese treten häufiger auf. Deutschland – so die Ergebnisse der Pisa-Studie – trägt die rote Laterne, wenn es um den Schulerfolg von Migrantenkinder geht.

Migrantenkinder in Berlin kommen oft aus unteren sozialen Schichten. Sie sind, was ihren Schulerfolg angeht, dreifach benachteiligt: durch ihre oft unzureichende Sprachkompetenz im Deutschen, ihre soziale Herkunft und dadurch, dass sie oft an Schulen lernen müssen, die ein negatives sozioökonomisches Umfeld besitzen. Damit meint die Pisa-Studie Schulen, die hinsichtlich ihrer Ausstattung und durch ihre Schülerzusammensetzung ungünstigere Lernvoraussetzungen vorweisen. Ein zusätzliches Handicap für Migrantenkinder, Deutsch zu lernen, liegt darin, dass ihre Muttersprache – bis auf Aufnahmen – in der Schule nicht gefördert wird. Dabei erfolgt der Erwerb einer Zweitsprache immer – das ist nicht ernsthaft zu bezweifeln – in Auseinandersetzung mit der Muttersprache.

Es gibt viele Schulen in Berlin, wo Migrantenkinder fast unter sich sind. Deutschsprachige Kinder, aber auch viele bildungsorientierte Migranten sind weggezogen oder melden ihr Kind an einer anderen Schule an. An diesen Schulen gibt es keine Heterogenität mehr. Das Erlernen der deutschen Sprache wird noch viel schwieriger, weil Sprachvorbilder fehlen. Und ohne gute Deutschkenntnisse gibt es weder schulischen noch beruflichen Erfolg, sondern – später – Arbeitslosigkeit.

Jetzt hat sogar der Vorsitzende des Verbandes der türkischen Unternehmer in Deutschland, Esref Ünsal, gefordert, in einer Klasse dürften höchstens 25 Prozent „Ausländerkinder“ sein, um diesen Missstand zu beheben. Eine solche Quotenregelung halte ich für nicht realisierbar. Sie wird bislang als diskriminierend empfunden. Aber viele andere Maßnahmen sind denkbar, um den Schulerfolg von Migrantenkindern zu steigern.

Vordringlich ist eine Veränderung der Stadtentwicklungspolitik, damit soziale Entmischung rückgängig gemacht wird. Die Maßnahmen des Quartiersmanagements gehen in die richtige Richtung. Oft könnten die Einzugsbereiche von Schulen so verschoben werden, dass die Zusammensetzung einer Schule sich positiv verändert. Auch die Zusammenfassung mehrerer Schulen zu einem Schulverbund ist denkbar, um eine heterogene Schülerschaft zu erreichen. In manchen Schuleinzugsbereichen fahren alle Kinder bildungsorientierter Eltern zu weiter entlegenen Schulen, weil diese einen geringeren Anteil „ausländischer“ Schüler haben. Wäre es nicht denkbar, Anreizsysteme zu schaffen, dass stattdessen Kinder von Migranten freiwillig eine weiter entfernte Schule besuchen, auf der sie bessere Aussichten auf einen guten Schulerfolg haben? Sollten nicht Schulen mit wenigen „Ausländerkindern“ durch ein Belohnungssystem motiviert werden, sich um die Aufnahme von Migrantenkindern zu bemühen, statt diese möglichst abzuweisen?

Noch wichtiger aber scheint mir die Entwicklung der Einzelschule im Kiez. Schulen in den USA haben gezeigt, dass es gelingen kann, trotz sozialem Brennpunkt Magnetschule zu werden. Das bedeutet, attraktiv zu werden über den Einzugsbereich hinaus, auch für bildungsorientierte Eltern! Voraussetzung ist ein attraktives Schulprofil, das ein hohes Leistungsniveau verspricht, Interessen und Neigungen der Schüler einbezieht und durch Formen innerer Differenzierung allen Eltern – auch bildungsorientierten – die Sicherheit gibt, dass jedes Kind sein individuelles Bildungspotenzial voll ausschöpfen kann. Schulen im Kiez müssen sich selbst entwickeln. Sie brauchen aber Hilfe, wenn sie angesichts politischer Fehler der Vergangenheit wieder so attraktiv werden sollen, dass eine heterogen günstige Schülerschaft entsteht.