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Der glasige Blick ins Nichts

Das ist Unsinn, der begeistert, mitunter aber auch nervt: Am Wochenende ging Europas größtes asiatische Filmfestival im italienischen Udine zu Ende. Morgens gab es chinesische Animationsfilme, am Abend dann Sex-Produktionen der japanischen Firma Pink Eiga – allerdings ohne jegliche Pornografie

Warum benehmen sich Frauen in Hongkong-Filmen, als seien sie erst zwölf?

von HARALD PETERS

So geht es bei Filmfestspielen zu: Cineasten und Festivaltouristen strömen aus allen Himmelsrichtungen herbei, setzen sich von morgens bis abends ins Kino und lassen dabei keine Filmminute ihrem kritischen Blick entgehen. Nach etwa einwöchiger Tageslichtvermeidung stellen sie dann griesgrämig fest, mal wieder nichts gesehen zu haben, was sie nicht schon viele Male gesehen hätten.

Die Festivalleitungen weltweit sind daher ständig unter Druck, dem von Experimentalfilm über Arthouse bis zu Trashkino in allen Abseitigkeiten bestens bewanderten Fachpublikum Jahr für Jahr Sensationen zu bieten, die zumindest den Eindruck erwecken, irgendwie interessant sein zu können. Die Verantwortlichen des Far East Filmfestivals im norditalienischen Udine, dem größten europäischen Festspiel für fernöstliches Kino, hatten in dieser Hinsicht eine brillante Idee: eine Schwerpunktreihe mit japanischen Sexfilmen, im Herstellungsland Pink Eiga genannt.

Dazu muss gesagt werden, dass Pink Eiga eine derart speziell japanische Sexfilmform darstellen, dass man sie außerhalb Japans nie und selbst innerhalb Japans – so der zuständige Kurator – nur selten zu Gesicht bekommt. Rund hundert Pink Eigas werden jährlich produziert, exakt zehn bekamen die Zuschauer in Udine als internationale Premiere zu Gesicht. Man staunte. Das scheint also den gemeinen Japaner zu erregen: Sexfilme, die wie Filme funktionieren, die keine Sexfilme sind, sondern wie Melodramen, Krimis oder Klamotten. Die mal dilettantisch sind, mal handwerklich ordentlich oder ambitioniert; die jeweils eine Stunde dauern und im Durchschnitt drei Sexszenen bieten, die selbst anspruchsloseren Voyeuren nichts bis gar nichts zeigen.

Stattdessen hört man in ihnen Männer lautstark grunzen und Frauen quieken. So konnte das von Experimentalfilm über Arthouse bis zu Trashkino in eigentlich allen Abseitigkeiten bewanderte Fachpublikum eine ganz und gar überraschende Abseitigkeit entdecken: die im japanischen Sexfilm relative Abwesenheit von Sex, die umso mehr verwirrt, da Pink Eigas hauptsächlich in Sexkinos zur Aufführung kommen. Der Umstand, dass in Japan auch Hardcore-Pornografie amerikanischer und europäischer Herstellung erhältlich ist, verleiht dem Pink Eiga-Phänomen dabei eine besondere Note: Man weiß nicht, was es eigentlich soll.

Sexfilme von Pink Eiga bekommt man selbst in Japan nur selten zu Gesicht

Aus einem streng westlichen Blickwinkel könnte man daher sagen: Das ist Unsinn, der begeistert. Man könnte aber auch sagen, dass der unterstellte Unsinn mitunter nervt. Was man allerdings nur selten sagen kann, ist, dass man die meisten asiatischen Filmplots tief im Innersten versteht. Wer weiß schon, warum weiß besockte Schulmädchen in japanischen Filmen ständig glasigen Blickes ins Nichts starren, als wollten sie sagen, da, wo ich hinschau, ist die Hoffnung? Warum sich erwachsene Frauen in Hongkong-Filmen grundsätzlich so benehmen, als seien sie erst zwölf? Warum der alternde Herzensbrecher Andrew Lau offenbar in jeder zweiten Hongkong-Produktion die Hauptrolle spielen muss?

In Udine war Lau wenigstens in vier Filmen zu sehen. Um bei so viel Unverständlichkeiten nicht den Überblick zu verlieren, überzeugte die Programmpolitik durch europaische Ordnung. Der Schwerpunkt Pink Eiga wurde auf die Nachtschiene gesetzt, der andere Schwerpunkt, chinesische Animationsfilme, wurde in den frühen Morgenstunden gezeigt. Sex oder Zeichentrick – man musste sich entscheiden. Zwischendurch lief dann, was Menschen aus China, Japan, Thailand, Südkorea und den Philippinen im letzten Jahr vor die Leinwand zog. Fußballfilme, Horrorfilme, Krimis, Komödien, Dramen, Tanzfilme und Kriegsfilme. Auch wenn das Festival dem gemeinen Arthouse-Spießer dankenswerterweise wenig bot, sah man dennoch beflissene Filmkritiker umherschweifen, die Sätze wie „Eigentlich bin ich wegen der Japaner hier, aber am meisten interessiere ich mich für die Chinesen“ sagten, was subjektiv auch so gewesen sein mag, obwohl objektiv betrachtet natürlich die Südkoreaner die Interessantesten waren, namentlich Jung Woo-sung und Joo Jin-mo, die beiden Hauptdarsteller des blutrünstigen Kriegsepos „Musa“. Jene auch äußerlich recht viel versprechenden Schauspieler, die in ihrer Heimat den Rang von Superstars haben, sah man mitunter einsam im Festspielhaus herumstehen, wie sie aus sicherem Abstand vom Udineser Publikum betrachtet wurden. Von einer Journalistin wurden sie gefragt, ob sie sich eine Hollywood-Karriere vorstellen können. Sie sagten, sie möchten sich zunächst auf Südkorea konzentrieren. Denn das südkoreanische Kino boomt. Das nächste Jahr deshalb davon mehr.

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