Ein neuer Kompromiss, eine neue Offensive

Us-Präsident Bush hat die Aufhebung der Belagerung Arafats ausgehandelt – unter Bedingungen. Zugleich rückt Israels Armee in Hebron ein

JERUSALEM taz ■ Der Handel „Ramallah gegen Dschenin“ habe einen Monat nach Beginn der israelischen Militäroffensive „Schutzwall“ deren Ende möglich gemacht. So anaylsierte gestern die liberale Tageszeitung Ha’aretz: Die Belagerung des derzeitigen Amtssitzes von Palästinenserführer Jassir Arafat wird aufgehoben im Gegenzug für amerikanische Rückendeckung, was Israels Umgang mit der UN-Untersuchungskomission angeht, die die Vorgänge im Flüchtlingslager von Dschenin untersuchen soll. Offen blieb zunächst, welcher Art die „amerikanischen Rückendeckung“ ist, über die Ha’aretz berichtete. Vizeverteidigungsministerin Dalia Rabin-Philosoph bestätigte, dass es „Absprachen“ mit den Amerikanern gegeben habe, erläuterte aber keine konkreten Einzelheiten. Fast zeitgleich zu fieser Entwicklung eröffnete Israel eine neue militärische Offensive, diesmal in der zweitgrößten palästinensischen Stadt Hebron, die bisher von einer Invasion verschont geblieben war.

Seit Tagen wartet die UN-Delegation auf die Zustimmung Israels, ihre Arbeit aufzunehmen. Die Regierung Ariel Scharons hatte zwar grundsätzlich einer „Fact-Finding“-Mission zugestimmt. Dann jedoch kamen Zweifel im Kabinett auf über das Ziel der Delegierten. Nach tagelangem Hin und Her über die Konstellation des Gremiums – Israel forderte den Einsatz von professionellen Militärs – sowie Israels striktes Nein zu möglichen „Empfehlungen“ der Delegierten, fordert Scharon nun die Beschränkung der Untersuchung auf die „terroristische Infrastruktur“ in dem Lager. Mit der ursprünglichen Idee, den palästinensischen Vorwurf zu prüfen, es habe ein „Massaker“ stattgefunden, hat das nichts mehr zu tun.

Der Kompromissplan von US-Präsident George W. Bush sieht das Ende der Belagerung Jassir Arafats vor. Die sechs von Israel gesuchten Palästinenser, darunter vier Mittäter am Mord des Tourismusministers Rechawam Seewi sowie der für den versuchten Waffenschmuggel auf der „Karine A“ verantwortliche Fuad Schubaki, werden in ein Gefängnis nach Jericho verlegt, wo sie von amerikanischen und britischen Polizisten bewacht werden. Dieses israelische Zugeständnis wurde einzig möglich infolge schweren amerikanischen Drucks. Schon berichteten palästinensische Zeitungen über geplante Feierlichkeiten, wenn Arafat sein Gefängnis verlässt, nachdem er monatelang der immer schärfer werdenden Belagerung mutig standgehalten hat. Die israelischen Soldaten lassen ihrerseits die letzten Stunden nicht ungenutzt und zerstören, was im besetzten Stadtinneren noch zu zerstören ist.

Bei der Belagerung der Geburtskirche in Bethlehem war gestern zunächst noch keine Lösung in Sicht. Die palästinensische Seite drohte mit dem Abbruch der Verhandlungen, solange die israelische Armee die Kirche weiter beschieße und eine Versorgung mit Lebensmitteln unterbinde.

Der Einmarsch der israelischen Armee in Hebron zeigt gleichzeitig, wohin die Reise geht. Neun Tote innerhalb weniger Stunden, darunter „mindestens sechs Zivilisten“, wenn man palästinensischen Berichten glauben will. Die Invasion folgte dem Überfall auf eine jüdische Siedlung, wo am Wochenende vier Menschen erschossen wurden. Eine Zurückhaltung gegenüber Terroristen, wie sie von Scharon zumindest kurzfristig demonstriert wurde – so nach dem Attentat auf die Tel Aviver Diskothek im Frühjahr vor einem Jahr –, wird es unter seiner Führung nie wieder geben.

Der andauernden Operation in Hebron sowie zu erwartenden weiteren Militärschritten im Autonomiegebiet zur Seite steht der strategische Balanceakt mit Blick auf die israelisch-amerikanischen Beziehungen. Israel ist „in langfristigen Angelegenheiten“ auf die Hilfe aus Washington angewiesen, gab Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser am Montag offen zu. Um Unterstützung zu garantieren, müssten „entsprechende Kompromisse“ getroffen werden. So die Reisefreiheit für Arafat. Ob dem Palästinenserführer auch in Zukunft nicht nur Ausreisemöglichkeiten, sondern vor allem die Rückfahrt ermöglicht werden wird, sollte er einen Besuch in den Nachbarstaaten erwägen, hängt wieder allein vom „Big Brother“ in Washington ab. Scharon würde sich lieber heute als morgen von seinem jahrzehntelangen Erzfeind trennen. Notfalls per Zaun. Ben-Elieser kündigte die Errichtung von immerhin 90 Kilometer Zaunverlegung „innerhalb kurzer Zeit“ an. Und schon in zwei Jahren soll die volle Länge der Grenze zwischen Israel und Jordanien von 1967 von einem Zaun markiert sein.

SUSANNE KNAUL