sarrazin will nicht deutsch sprechen
: Berlins Verwaltung wird reformiert, sagt der Senat und stellt sieben Leitprojekte vor

Rote Nachtwächter

Der Senat hat eine Verwaltungsreform beschlossen. Das bedeutet nicht Gutes – zumindest nicht für diesen Text. Die Chance von Nachrichten, wahrgenommen zu werden, hängt einer grundlegenden Abhandlung (Walter Lippmann: „Public Opinion“, New York 1922) zufolge vom so genannten Nachrichtenwert ab. Faktoren, die den Wert einer Nachricht bestimmen, sind laut Lippmann „Eindeutigkeit, Relevanz und Sensationalismus“. Je verständlicher, je wichtiger für das Alltagsleben der Leser und je sensationeller, desto eher wird die Nachricht gelesen. Über den journalistischen Umgang mit Verwaltungsreformen schweigt sich Lippmann leider aus.

„Billiger-besser-schneller“ soll die Verwaltung werden, beschloss der Senat auf einer Klausurtagung am Montag. Eine Entrümpelung bürokratischer Strukturen solle gleichzeitig dem Bürger und der Entlastung des Landeshaushalts dienen. Der Staat soll sich in Zukunft auf seine „Kernaufgaben“ beschränken. Diese Idee, die konservative Politiker in den Achtzigerjahren in angelsächsischen Ländern sehr anschaulich umsetzten, gehört mitlerweile auch zum „Leitbild“ der rot-roten Koalition. Was Ferdinand Lasalle „Nachtwächterstaat“ schimpfte, heißt bei SPD und PDS heute „kooperativer Sozialstaat“.

„Sieben Leitprojekte“ wurden vorgestellt: 1) „Bürgerdienste“ sollen verbessert werden. Bedeutet konkret: In allen Bürgerämter soll das Gleiche geboten werden, bald auch über Telefon und Internet. 2) „One-stop-agency“. Heißt konkret: Eine mit allen Kompetenzen ausgestattene Anlaufstelle für Unternehmer wird eingerichtet. Diese Idee wird von allen Parteien seit Jahren im Wahlkampf propagiert. Sie klingt schön plausibel („Investoren dürfen nicht von Hinz zu Kunz geschickt werden“), gilt aber als schwer realisierbar. 3) „Personalüberhangmanagement“. Konkret: Bekanntlich beschäftigt das Land Berlin weit mehr Personal, als für die vorhandene Arbeit benötigt wird. Als überflüssig erkannte Mitarbeiter sollen nun ihre Verwaltungen verlassen. Ein „zentraler Stellenpool“ bei der Finanzverwaltung regelt ihre weitere Verwendung. Auf die Nachfrage „Gehen diese Mitarbeiter im Stellenpool dann spazieren?“ antwortete der zuständige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD): „Im Einzelfall ist das nicht auszuschließen. Und es wird mehrere Einzelfälle geben.“ 4) „Vermittlung von Sozialhilfeempfängern auf Arbeitsplätze“. Konkret geht es um die Aufspürung von „Missbrauchsnestern“ (Sarrazin). Präzisierung verweigerte der Senator auch auf Nachfrage: „Wenn ich deutsch rede, wird mir das wieder vorgeworfen.“ 5) „Hilfen zur Erziehung“. Konkret: Bei der Jugendhilfe hat es nach Sarrazins Einschätzung bisher „Wildwuchs“ gegeben. Dieser soll nun durch ein einheitliches Abrechnungssystem beschnitten werden. 6) „Erweiterte Eigenverantwortung der Schulen“. Konkret: Die Schulen sollen in Zukunft einen Teil ihres Personals selbst auswählen können. 7) „E-Government“. Konkret weiß eigentlich niemand, wie Berlin per E-Mail regiert werden soll. ROBIN ALEXANDER