Schnellstraße ins Paradies

Deutsche Tugenden beim 1:1: Weil das große Manchester United in der BayArena sein Unterhaching zelebriert, kann Bayer Leverkusen sich mit Hingabe ins Finale der Champions League humpeln

aus Neverkusen BERND MÜLLENDER

Vorher gehörte die BayArena der Angst. Der blanken Angst. Was, wenn das mit der Champions League nach dem Nürnberg-Debakel und der damit wahrscheinlich verdaddelten Meisterschaft heute auch schief gehen würde? Waren nicht die Fangesänge deutlich dünner als sonst? Sprangen den Kickern beim Warmspielen nicht auffällig viele Bälle vom Fuß? Nach dem spektakulären 1:1 (das durch das 2:2 im Hinspiel zum Finaleinzug reichte) war für Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller „ein Traum wahr geworden“. Erschöpft und milde lächelnd wollte er nur noch „ein paar Bierchen und ein paar Zigarettchen“.

Vorher fiel die Musikdramaturgie auf. Da donnerten erst beschwörend die Toten Hosen durchs Rund: „Steh auf, es wird schon wei-ter ge-hen …“ Danach kam „Highway to Hell“ – nicht eben sensibel, dachte man. Vorher sah man Manager Reiner Calmund, in einer Woche um Jahre gealtert, aschfahl im Gesicht, der blonde Schnäuz wie graugram blitzergraut. Kurz nach Schluss des Herzinfarktspiels, dieser unglaublichen letzten zehn Minuten, dieses Bangens, Bebens und Zitterns, sah man ihn bildfüllend auf der Videowand: Ja, er lebte! Später drohte er indes zu platzen, zumindest vor Stolz: „Sensationell, super. Wir haben alle großen Mannschaften weggeputzt.“

Vorher wirkten die Fanschals „Berlin, wir fahren nach Berlin“ ungewollt rührend: Die Teilnahme am Pokalfinale könnte ja das Einzige sein, was Bayer nach der tollen Saison bleibt. Gerührt meinte danach der erneut grandiose Yildiray Bastürk: „Das tut der Seele gut, nach allem, was wir einstecken mussten.“ Bernd Schneider wusste gar: „Mittlerweile ist es Kult, in Leverkusen zu spielen.“ Und Michael Ballack, der wegen seiner finanziellen Fahnenflucht zum FC Bayern dieses Glück ab Juli nicht mehr hat, sekundierte: „Selbst wenn wir keinen Titel holen“, könnten alle „jetzt schon stolz auf uns sein“.

Es gab eine Szene fünf Minuten vor Schluss, als sich gleichzeitig Ballack, Sebescen und Lucio humpelnd den letzten verzweifelten Attacken Manchesters entgegenschleppten. Jens Nowotny, früh verletzt, lag da schon mit Schwerverdacht auf Kreuzbandriss im Krankenhaus. Es war „eine Frage des Willens“, sagte Ballack, „fürs Finale tut man alles.“ Und damit war der Triumph nach dem „absoluten Fight“ (Toppmöller) mit dem „letzten Droppen Sprit“ (Calmund) auf einen Begriff gebracht: Auch die saisonlang wirbelnden, spielerisch überragenden Leverkusener haben erst mit den berühmten „deutschen Tugenden“ Erfolg.

Allerdings, ohne die taktischen Fehler des Gegners hätte das kaum gereicht. Sir Alex Ferguson, Manchesters knorriger Coach, redete nach guter Trainersitte die Niederlage schön. „Heute hatte Leverkusen das Glück.“ Er klagte über diese „Vielzahl von Chancen, wo der Gegner auf der Linie geklärt hat“. Es waren übrigens zwei; aber Ferguson ergänzte, er meine beide Spiele. Immerhin sagte er zweimal Lej-wa-kju-sän. Bei einem Interview vor dem Match war ihm einmal als Gegner Kaiserslautern herausgerutscht. Schnell korrigiert, trotzdem peinlich. Und halt symptomatisch.

Manchester kopierte an diesem Abend Leverkusens Drama in Deutschland: versagen, wenn es drauf ankommt, durch unangemessene Vorsicht, gepaart mit Arroganz. Manchester musste gewinnen. Und wartete ab. Toppmöller war „überrascht über die Aufstellung ohne Solskjaer“. Nur ein Angreifer, das spielte Bayer ins Konzept, zumal Ruud van Nistelrooy von Lucio und Zivkovic überraschend komplett ausgeschaltet wurde. Auch Bastürk wunderte sich: „Wir alle hatten ManU offensiver erwartet.“

Bezeichnend: In der zweiten Halbzeit kam ManU erst in Minute 66 wieder in den Bayer-Strafraum, erst nach 72 Minuten gelang der erste Torschuss. Zum Schluss wurde es arg eng, letztlich war ihnen die Zeit zerronnen. Exakt wie Bayer in Nürnberg untergegangen war und damals in Haching verlor. Manchester hatte in der BayArena sein Unterhaching zelebriert. Gern hätte man gewusst, ob Ferguson der Name Under-Hatsching etwas sagt. Aber da war er schon weg.

Manchester United, jetzt selbst auf den Highway to Hell eingebogen (der nationale Titel geht wohl an Arsenal), hat Leverkusen auf die Schnellstraße ins Paradies geholfen. Ob die Deutschen am Ziel der Träume ankommen? Bayer habe, dozierte Alex Ferguson, auch gegen Real Madrid eine Chance; denn: „Ein Finale hat seine eigenen Gesetze.“ Gut zu wissen: Entsprechende Erkenntnisse hatten wir in Germany bislang nur von banalen Pokalspielen.