Für immer Jürgen

Mit der Reportage „Einmal Star und zurück“ fragt RTL 2 nach dem Werdegang von Ex-Promis wie „Big Brother“ Jürgen – die VIP-Schmiede übt damit jedoch keine Selbstkritik, sondern findet mal wieder einen Vorwand, sich und ihre Produkte zu feiern

von ANNETTE KLINKHARDT

Jürgen und Christian stürzen ab. Jürgen, der kölsche Jung aus der ersten Staffel von „Big Brother“, hat Christian, dem Macho mit der großen Klappe aus der zweiten, zum Geburtstag einen Fallschirmsprung geschenkt. Aneinander geklammert taumeln die beiden zur Erde. Kommentar: „Jürgen steht mit beiden Beinen wieder fest auf dem Boden.“ Das war es, was RTL 2 mit dieser Ausgabe von „exklusiv – die Reportage“ am Dienstag den Zuschauern einhämmern wollte.

Unter dem Titel „Einmal Star und zurück“ gab es den weichen Fall von Teppichluder Janine, die Wasserlandung des Neue-Deutsche-Welle-Phänomens Fräulein Menke, den Absturz von Dschinghis-Khan-Mitglied Steve Bender. Und eben auch Jürgens Gleitflug nach „Big Brother“. Hoppla, sollte RTL 2 da tatsächlich einen selbstreflexiven Diskurs starten? Ist doch kaum ein anderer Sender so damit beschäftigt, frei nach Warhol Stars hervorzubringen und das Publikum mit Storys aus deren faszinierender Welt zu versorgen: Nach Jürgen, „Shakespeare“ Zlatko und Elvers-Schwängerer Alex erblickten in kurzer Folge die fünf Mädels von No Angels und Bro’sis das grelle Licht der Promiwelt. Die dritte Casting-Staffel läuft gerade unter dem Namen „Teen Star“.

Doch von Selbstkritik war in der Reportage nichts zu spüren. Mit Jürgen, dem netten Mann von nebenan, war RTL 2 auf der sicheren Seite. Warum nicht Manuela, die kotzende Außenseiterin, oder Zlatko, der Vorzeigeprolet? Er, „dessen Stern steiler stieg, dafür umso heftiger fiel“, habe ein Gespräch abgesagt, heißt es süffisant in der Pressemitteilung von RTL 2. Ohnehin hätte er nicht zur Botschaft der Sendung gepasst, die da lautet: Jeder kann ein Star sein – er muss aber hart arbeiten und auf dem Boden bleiben. Zlatko dagegen hatte nach seinem verunglückten Grand-Prix-Auftritt im vergangenen Jahr noch auf der Bühne rumgepöbelt. Würde Jürgen nie tun. Jürgen, der 14 Jahre bei Ford malocht hat. Jürgen, der so sympathisch bescheiden geblieben ist. „Einen Tag nach der Staffel hätte ich bei etlichen Verträgen nur rechts unterschreiben müssen und wäre Millionär gewesen“, sagt der gute Mensch von Hürth. Ob er das nicht schon längst ist, fällt unter den Tisch. Denn natürlich macht er Schallplatten, modelt schon mal und ist auch auf Malle gern gesehener Entertainer. Doch wenn es für jemanden „das Wichtigste ist, gesund zu bleiben“, ist er zu Recht ein Star. „Ich komme viel rum, lerne nette Leute kennen und verdiene auch noch ein bisschen was“, freut sich der Sweatshirt-Träger werbewirksam zwischen Disco-Auftritten und dem klavieruntermalten Besuch bei einem krebskranken Mädchen.

So inszeniert der Sender unter dem Deckmantel der kritschen Reportage das eigene Produkt Jürgen neu. Und promotet nebenbei noch ganz unauffällig dessen neuestes Produkt, ein Buch mit dem Titel „Ich sag’s“.

„Die meisten Kandidaten haben kurzfristig von ihrem Auftritt profitiert“, sagt Rainer Laux, bei der Produktionsfirma Endemol verantwortlich für Big Brother. „Doch die wenigsten konnten das auf stabile Füße stellen.“ Die Bewerber für die zweite und dritte Staffel hätten bereits erwartet, dass sie durch den Containerbesuch automatisch zum Star würden. Wer sie bloß auf die Idee gebracht hat? Doch nicht RTL 2 oder Endemol. Nein, sagt Rainer Laux, er habe den Kandidaten stets geraten: „Macht erst einmal eure Ausbildung fertig.“

Das hält die Medienwissenschaftlerin Maya Götz für eine Illusion: „Eine Rückkehr in das frühere Leben war für die Containerbewohner nicht mehr möglich.“ Das lag nicht nur daran, dass sie „innerhalb kürzestester Zeit ganze Entwicklungssprünge“ mitgemacht haben, sondern vor allem an dem Identitätsbruch: RTL 2 hat durch die Wahl der gesendeten Ausschnitte Jürgen und Zlatko erst erschaffen. „Das Perfide war, dass die Leute vorher nicht wussten, dass aus ihnen Stereotype gemacht werden.“ Die Zicke, der Prol – und Jürgen, der Kumpel. Eines prophezeit Maya Götz dem bodenständigen Star schon jetzt: „Jürgen wird für immer und ewig ‚der Jürgen‘ bleiben müssen.“