Schill geht in die Moschee

Verfassungsschutzbericht 2001: Die Schlapphüte kümmern sich seit dem 11. September stärker um „terroristische islamische Strukturen“ als um gewaltbereite Neonazis. Innenstaatsrat entkräftet Bild von den „schweren Krawallen“ auf dem Kiez

Von PETER AHRENS

Ab Juni arbeitet ein Islamwissenschaftler beim Hamburger Verfassungsschutz. Zudem haben die Schlapphüte bereits jetzt jemanden in ihrem Dienst, der „leidlich arabisch spricht“, wie Hamburgs Verfassungsschutzchef Reinhard Wagner betont. Denn die Geheimdienstler haben ein neues Lieblingsbetätigungsfeld gefunden. Innensenator Ronald Schill formuliert es bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2001 so: „Um die Gefährdungslage real abzubilden, haben wir den Ausländerextremismus als zentralen Punkt herausgestellt.“

Mehr Geld, mehr Personal – es sind gute Zeiten für Verfassungsschützer. Die Harburger Verbindungen zum 11. September, Djerbah und die Folgen – für Schill kommt „der Aufklärung militanter und terroristischer islamistischer Strukturen eine hohe Priorität“ zu. Zu diesen Strukturen zählt er auch die türkisch-islamische Gruppierung Milli Görüs, trotz deren Beteuerungen, sich verfassungskonform und gesetzestreu zu verhalten. Beteuerungen, denen Wagner und Schill misstrauen: So haben die Verfassungsschützer die Moschee am Steindamm unter Beobachtung, weil sie „Anlaufpunkt auch für Fundamentalisten“ sei.

Alles Augenmerk den Islamisten, da gerät das traditionelle Beobachtungsfeld „in den Hintergrund“, wie der Senator einräumt, so zum Beispiel die rechtsextreme und Neonazi-Szene. Die habe, so Schill, jedoch ohnehin „zahlenmäßig und politisch an Bedeutung verloren“. Um im gleichen Atemzug zu verkünden, dass die Zahl der rechtsextremen Skinheads „sich in Hamburg bedeutend erhöht hat“: Deren Zahl, so weist der Bericht aus, sei von 120 auf 180 gestiegen. Dagegen hätten, liest der Schill-Senator unkommentiert vor, die rechtsextremistischen Parteien in Hamburg – und dazu zählt er DVU, NPD und Reps – bei der Bürgerschaftswahl ein „Debakel und eine schwere Schlappe“ erlebt. Wo deren WählerInnen gelandet sind, sagt er allerdings nicht.

Stattdessen wendet er sich ausführlich der linken Szene zu, die „von ihrer Gefährlichkeit nichts verloren hat“. Der Bericht hat genau gezählt: In Hamburg gibt es 520 gewaltbereite Linksextremisten – exakt so viele wie im Jahr zuvor. Antiglobalisierungsaktivitäten zählt Schill ebenso auf wie „die hohe Mobilisierungsfähigkeit trotzkistischer Gruppen wie des Linksruck-Netzwerkes“ und Aktionen anlässlich „einer angeblich rassistisch motivierten Drogenpolitik“. Schill sah auch bei der Protestdemo zur Vereidigung des Rechtssenats im Oktober „Gewalttätigkeiten aus den Reihen der autonomen Antifaschisten in Form von Angriffen auf Polizeibeamte“. Im offiziellen Verfassungsschutzbericht heißt es dazu: „Trotz einer aggressiven Grundstimmung verlief die Demonstration friedlich.“

Schills Staatsrat Walter Wellinghausen rückt in diesem Zusammenhang die Vorgänge in der Nacht zum 1. Mai auf der Reeperbahn und im Schanzenviertel zurecht: Von schweren Krawallen, wie vor allem die Springer-Presse und der NDR kolportierten, habe keine Rede sein können, eher von „einigen kleinen Rangeleien am Rande“. Es habe sich in der Walpurgisnacht nur um eine Hand voll von Leuten gehandelt, die Straftaten ausgeübt hätten, und die Rote Flora sei darin überhaupt nicht verwickelt gewesen: „Die hatte sich von vornherein abgeschottet“, sagt Wellinghausen.

Aus Sicht von Senator und Staatsrat ist allerdings auch unzweifelhaft, warum es so friedlich blieb: „Das Konzept der Polizei hat funktioniert.“