szenen vor gericht
: Schnürsenkel und …

Stahlkappen

Der angehende Maler Alexander K. muss jetzt 60 Stunden Freizeitarbeit leisten und an einem Sozialtraining teilnehmen. Eine milde Strafe, angesichts der Tatsache, dass der 21-jährige Lehrling aus Marzahn fast einen Menschen zu Tode getreten hat mit seinen Springerstiefeln. Aber die Richterin am Landgericht hat gestern das Jugendstrafrecht angewandt und berücksichtigt, dass der Angeklagte seine Tat gestanden hatte und, dass es sich um eine betrunkene Schlägerei innerhalb der rechten Szene gehandelt hatte.

Am 3. Juni 2000, seinem 19. Geburtstag war Alexander K. mit Freunden auf der Straße spazieren gegangen, der Tag hatte bereits mit Alkohol begonnen. An der Straßenbahnhaltestelle Alt-Marzahn hatte er Christian K. auf der anderen Straßenseite erkannt. „Ich war stinksauer, weil K. mich einmal unschuldig vor Gericht gebracht hat“, erzählt er vor Gericht. Er boxt den 19-Jährigen zu Boden, tritt ihm mit seinen Stahlkappenschuhen gegen den Kopf und lässt auch nicht nach, als schon Blut fließt. Die Freunde prügeln mit. Allerdings konnte später keiner von ihnen eindeutig identifiziert werden. Alexander K. verriet sie nicht.

Bevor die Schläger in einer Gaststätte den Geburtstag von Alexander K. mit viel Bier zu Ende feiern, ziehen sie ihrem Opfer noch die gelben Schnürsenkel aus den Schuhen. In der rechten Szene symbolisieren solche Schnürsenkel Führertreue, erklärt ein Zeuge. Sie wurden dem Opfer weggenommen, weil es es nicht wert gewesen sei, sie zu tragen.

Das Opfer, Christian K., erscheint zu seiner Vernehmung in einer grünen Bomberjacke. Die Schnürsenkel habe er getragen, weil er ein Anhänger von Hitler-Stellvertreter Rudolph Hess gewesen sei. Er sagt, er habe dem Angeklagten die Tat verziehen: „Ich habe ausgeteilt, da kann ich auch mal eins auf die Fresse kriegen.“ Inzwischen habe er sich von der rechten Szene distanziert und dem Germanenkult zugewendet. Lokale, in denen Ausländer verkehren, lehne er immer noch ab. Der Angeklagte ist noch mal glimpflich davongekommen. Mit einem Lächeln nimmt er das Urteil entgegen. Auf der Zuschauerbank versinken drei kurzhaarige Freunde in ein zufriedenes Murmeln. KIRSTEN KÜPPERS