Eine friedliche Familie

Ernst Friedrich gründete in den Zwanzigern das erste Anti-Kriegs-Museum Berlins. Daran erinnert nun eine Gedenktafel in Mitte. Sein Enkel Tommy Spree führt die Tradition fort. Er leitet seit 20 Jahren das Anti-Kriegs-Museum in Wedding

„Voller Tatkraft und Visionen, ein Idealist, der seinen pazifistischen Ideen bis zum Tode treu war.“ So charakterisiert Tommy Spree – Leiter des neuen Anti-Kriegs-Museums im Wedding – seinen Großvater Ernst Friedrich. Als er den sozialistischen Kriegsgegner, Schauspieler und Schriftsteller 1956 das erste Mal in der neuen Pariser Heimat besuchte, war Tommy bereits 16 Jahre alt. Die Begegnung sollte sein Leben prägen.

Friedrich hatte 1923 in der Parochialstraße das erste Berliner Anti-Kriegs-Museum gegründet. Daran und an seine Wirken erinnert seit gestern eine Gedenktafel – pünktlich zum 35. Todestag des Friedensmissionars enthüllt.

Der Erinnerung und der Arbeit gegen den Krieg hat sich auch Tommy Spree verschrieben. Die 61-Jährige trat heute vor genau 20 Jahren in die Fußstapfen seines Großvaters und leitet seither das neue Anti-Kriegs-Museum im Wedding. Sein Vorname verrät auch gleich einen Teil der Familiengeschichte. Weil er als 12-Jähriger mit den Eltern aus dem Londoner Exil zurück nach Berlin kam, war er fortan der Tommy, der Engländer.

Ins Ausland getrieben hatten die Familie die Nazis. SA-Schergen zerstörten 1933 das Anti-Kriegs-Nuseum von Ernst Friedrich und errichteten dort ein „Sturmlokal“ nebst Folterkammer. Museumsleiter Friedrich selbst landete im Gefängnis. Bald entlassen, organisierte er die Flucht seiner Familie und schmuggelte Material aus seinem Museum ins Ausland. Über Prag und Genf gelangten die Friedrichs schließlich nach Brüssel. Doch auch hier zerstörte die vorrückende deutsche Wehrmacht ein erneut aufgebautes Museum.

Am Ende war die Familie über mehrere Länder verteilt. „Das Familienleben hat unter dem Anti-Kriegs-Museum sehr gelitten – erst recht, weil Ernst Friedrich dauernd eingesperrt war“, sagt Tommy Spree. Friedrichs Tochter Heidi ging mit ihrem Mann nach London, wo Spree 1940 zur Welt kam. Seine Kindheit wirkte sich aus: Er wurde Lehrer für Englisch, Geschichte und Sport. Sein Großvater kam nicht mehr nach Deutschland zurück. Als das Vorhaben scheiterte, die Ruine der Gedächtniskirche für sein Museum zu gewinnen, blieb Friedrich in Paris und baute eine Begegnungsstätte für deutsche und französische Jugendliche auf – die „Friedensinsel“.

Trotz des prägenden Einflusses des unermüdlichen Großvaters engagierte sich Tommy Spree erst zu Beginn der Achtzigerjahre politisch – in Friedensinitiativen. Die Internationale Liga für Menschenrechte bat ihn, über seinen Großvater zu sprechen. „Dass ich aber jemals mit einem Museum etwas zu tun haben würde, daran habe ich nie gedacht“, so Tommy Spree. Sein Diavortrag mit den schonungslosen Kriegsfotos aus Ernst Friedrichs Büchern „Krieg dem Kriege“ zeigte jedoch solch große Wirkung, dass Anhänger der Friedensbewegung ein neues Anti-Kriegs-Museum forderten. Tommy Spree legte 1982 los.

Auch in seinem Anti-Kriegs-Museum arbeitet er – wie sein Großvater – viel mit Bildern: „Wir zeigen das alles gerade auch, weil es abschreckende Wirkung hat.“ Bei den Schulklassen etwa, die das Museum überwiegend besuchen. Man sieht hier Fotos verstümmelter Soldaten aus dem ersten Weltkrieg, eine Armprothese, Tretminen, Zeitungsmeldungen über Kriege.

Besonders stolz ist Spree auf den originalgetreu eingerichteten Luftschutzkeller im Museum – mit einer Tür aus Neukölln, auf der die damaligen Bewohner jeden Fliegeralarm des Zweiten Weltkriegs vermerkt haben: 400 Mal.

Selbst Soldatengruppen besuchten schon das Museum. „Das war hochinteressant“ – Spree liebt die Diskussion und den Austausch. Und entsprechend bilanziert er auch die 20 Jahre Anti-Kriegs-Museum: „Es ist eine wunderbare Arbeit, eine Möglichkeit, mit Menschen Visionen und Utopien darüber zu spinnen, was wir für den Frieden tun können.“ Im Übrigen habe sein Museum seit dem 11. September mehr Zulauf als zuvor. „Die Friedensbewegung ist keineswegs tot“, meint Tommy Spree. JÜRGEN SCHULZ