Freude an Machtspielen

Obwohl immer mehr Frauen ein Ingenieurstudium aufnehmen, werden bei den Stellenbesetzungen nach wie vor Männer bevorzugt. Paktieren, intrigieren und eigene Netzwerke aufbauen, ohne das ist eine Karriere für Frauen kaum möglich

von GUDRUN FISCHER

IngenieurInnen heute sind alles andere als ölverschmierte Tüftler, Fachidioten oder machtbesessene TechnokratInnen. Sie arbeiten im Team, sie haben Einfühlungsvermögen, sie sind aufgeschlossen für Neuerungen. Sie sollen Sprachen können, sollen Fähigkeiten in anderen Fächern wie Wirtschaft und Informatik vorweisen. Sie sollen an einer besseren Vermittelbarkeit und an sinnvollen Techniken arbeiten.

Wären das nicht Kompetenzen, die viele Frauen schon aufgrund der geschlechtsspezifischen Sozialisation haben? Angeblich sind ihre Berufschancen in diesem Bereich heute besonders gut. Leider werden die meisten Stellenanzeigen für IngenieurInnen immer noch männlich formuliert. Aber das wäre nicht weiter schlimm, wenn Frauen trotzdem auf Ingenieursstellen Platz nehmen könnten. Das tun sie aber nur in geringem Maße: Der Anteil der Frauen am Maschinenbaustudium, der in Ostdeutschland 1987 bei 30 Prozent lag, sank bis 1993 auf unter neun Prozent. Der Anteil in Westdeutschland lag 1993 bei mageren vier Prozent. Heute sind es bundesweit etwa neun. Wobei interessant ist zu beobachten, dass ab Mitte der 90er-Jahre insgesamt aufgrund der Arbeitslage die Zahl der IngenieurstudienanfängerInnen stark zurückging (um 15 Prozent), der Anteil der Frauen aber nahm zu! Trotz dieser „Besserung“ ist der Anteil der Frauen in Ingenieurstudiengängen in anderen europäischen Ländern sehr viel höher. In Griechenland zum Beispiel sind es dreimal mehr Frauen in diesem Bereich. Warum?

Das habe mit dem Frauenbild in Deutschland und in Griechenland zu tun, stellte Maschinenbauingenieurin Dr. Kira Stein fest. In Griechenland sind 43 Prozent der Männer und Frauen für Gleichberechtigung in der Familienarbeit, in Deutschland nur 26. Die Berufstätigkeit von Frauen ist in Deutschland weit mehr von Familienpausen geprägt als in anderen westeuropäischen Ländern. Und dieses konservative Familienmodell beeinflusst auch die Vorstellungen davon, wie eine Frau zu sein hat.

Kira Stein hat sich nach über 20 Jahren aus ihrer Managementposition in der Industrie verabschiedet. Sie hat sich mit einer Firma für Software und Unternehmensberatung in Darmstadt selbstständig gemacht. Dort ist sie Senior Consultant und zuständig für Qualitätsmanagementprodukte. Nebenher hält sie Seminare. Einen Teil ihrer Zeit verbringt die 50-Jährige mit Untersuchungen zur Situation von Ingenieurinnen. Sie selbst ist Paradebeispiel für die Schwierigkeiten von Frauen in technischen Berufen.

Obwohl sie als Ingenieurin alles erreicht hatte, eine leitende Position und guten Verdienst, hatte sie keine Lust mehr auf ihren Job. „Ich musste jahrzehntelang alles aktiv einfordern“, sagt sie und erklärt, dass für sie als Frau zudem die Informationsnetze nie über die normalen Kanäle liefen. „Die Spielchen wie paktieren, intrigieren, Verbündete suchen, haben mir eine Weile Spaß gemacht“, so Kira Stein lakonisch. „Aber irgendwann war es nur mehr lästig.“ Und irgendwann hatte sie es satt, gefragt zu werden, warum sie denn Maschinenbau studiert hätte. So eine Frage, nach 25 Jahren Berufsleben? Der ganze aufgestaute Ärger entlud sich recht unspektakulär in ihrer Kündigung.

Frauen, die hochkommen, meint Stein, müssten Männern ähnlich sein. Sie müssten Freude an Machtspielen haben. Was Kira Stein besonders bitter fand, war, dass sie immer unendlich lange diskutieren musste, wenn sie sich für die Beförderung einer Frau aussprach.

Der zweite Grund für Kira Steins Kündigung war ein fachlicher. Vielleicht sei sie zu ungeduldig, aber sie wolle ihre Vorschläge umgehend realisiert sehen. Und das klappte nicht. „Auf der Weihnachtsfeier meiner ehemaligen Firma habe ich mitbekommen, dass meine Planungen von vor sieben Jahren jetzt erst umgesetzt werden“, berichtet sie entgeistert. Das moderne Management, das sich in den Firmen heute durchsetzt, behagte ihr außerdem überhaupt nicht.

„Früher waren die Chefs fachkundige Patriarchen.“ Heute seien die Chefs junge Überflieger, die sich nicht dafür interessieren, was produziert wird. „Die interessieren sich auch nicht für ihre Leute.“ Und zuletzt sind sie oft fachliche Nieten. Da kapiert ein Konstruktionsleiter die Konstruktion nicht. „Das ist absurd“, wettert Stein.

Aus einem Interview, das Kira Stein einst mit zwei Ingenieuren führte, geht hervor, dass die Vorgesetzten bei der Frauendiskriminierung nach einfachen Mustern verfahren: Wenn zu erwarten sei, dass eine Ingenieurin wegen ihrer Familie (sprich Kindern) öfter mal ausfallen könnte, wird diese Frau lieber nicht eingestellt. Und doch finden diese Männer, dass die Ingenieurinnen, die mit ihnen arbeiten, absolut kompetent, karriereinteressiert, durchsetzungsfähig und machtbewusst sind. Sie seien sogar einsatzbereiter. Das erklären sie sich damit, dass die Frauen sich stärker beweisen müssen.

Die zwei befragten Ingenieure, die zu den frauenfreundlichen gehören, sahen, dass Frauen bestimmte Tätigkeitsfelder verwehrt werden, dass sie auf bestimmte Tagungen nicht eingeladen oder dort ihre Namen falsch geschrieben oder gar vergessen werden. Um dann doch Anerkennung zu bekommen, würden Ingenieurinnen sich stärker engagieren. Trotz allem seien diese Frauen in ihrer Selbstdarstellung bescheidener als Männer. Trotz (oder vielleicht wegen?) der Diskriminierung seien sie sehr präzise und rational und würden sich, auch vom Äußeren her, an die Männerwelt anpassen. Vielleicht würde sich ja irgendwann etwas verändern, sinnierten die beiden Ingenieure, wenn Männer in Technikberufen öfter die Erfahrung machten, dass eine Ingenieurin ihre Vorgesetzte ist.