Furcht vor dem UN-Urteil

Das Scheitern der Dschenin-Kommission bringt die Beziehungen zwischen Israel und der UNO auf einen neuen Tiefpunkt

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

„Wir haben nichts zu verbergen“, betont Israels Premierminister Ariel Scharon, wann immer er auf die Ereignisse in Dschenin angesprochen wird. Und doch trotzt er den Vereinten Nationen, die ein Gremium schicken wollten, um die Tatsachen aufzudecken. „Ohne meine Genehmigung wird die Kommission nicht in Israel landen“, drohte der Premier und lehnte die zunächst versprochene Kooperation ab. Deshalb gilt das Vorhaben der Vereinten Nationen als gescheitert. Noch für gestern Abend wurde die Entscheidung des Weltsicherheitsrats erwartet, die Dschenin-Kommission aufzulösen. Dafür hat sich UN-Generalsekretär Kofi Annan bereits mehrfach ausgesprochen. Grund: Israels Weigerung zur Zusammenarbeit. Die Beziehungen zwischen Israel und der UNO, die niemals sehr freundlich waren, sinken damit auf einen neuen Tiefpunkt.

„Im UN-Sicherheitsrat können wir bei antiisraelischen Entscheidungen fast sicher mit dem Veto der USA rechnen“, erklärt Prof. Zwi Sober, Soziologe an der Universität Haifa. Schwieriger sei es hingegen mit der UN-Generalversammlung, wo allein wegen des Zahlenverhältnisses von „22 arabischen Staaten und den Dritte-Welt-Ländern, die sich natürlicherweise mit den Arabern solidarisien, Israel keine Mehrheitsentscheidung durchsetzen kann“. Stattdessen hat es wiederholt deutlich antiisraelische Erklärungen gegeben. So verglich die UN 1975 den Zionismus mit Rassismus. Eine Entscheidung, die erst 16 Jahre später korrigiert wurde. Die letzte Krise zwischen Jerusalem und New York folgte der Entführung dreier israelischer Soldaten an der libanesischen Grenze, die von UN-Mitarbeitern auf Video aufgezeichnet wurde, was monatelang verschwiegen worden war. Israels Forderung, das Material ausgehändigt zu bekommen, um daraus Aufschluss über das Schicksal der Entführten zu gewinnen, kam die UN nur bedingt nach.

„Es gibt Gründe für die Sorge, dass die israelischen Zeugenaussagen das Komitee nicht zu dem eindeutigen Ergebnis führen werden, dass es niemals ein Massaker gegeben hat“, schreibt Seew Segal in der liberalen Tageszeitung Haaretz über die Haltung der Dschenin-Kommission gegenüber. Ähnlich wie die Regierung begründet Segal seine Skepsis mit der Zusammensetzung des Gremiums aus „Leuten mit politischem und humanitärem Hintergrund, ohne Sachverstand hinsichtlich der objektiven und professionellen Betrachtung der Tatsachen“. Diese Art eines Gremiums „lässt noch nicht einmal die Hoffnung aufkommen, dass die Untersuchung unparteiisch sein könnte“. Noch während die Militäroperation in Dschenin verbreitete Palästinenserführer Jassir Arafat das Gerücht von „5.000 Märtyrern“, die in der Stadt „massakriert“ worden seien. Der palästinensische Friedensdelegierte Saeb Erikat schwächte den Vorwurf später auf „500 Opfer“ ab. Israel spricht nach wir vor von „rund 50 Toten“, von denen „die meisten bewaffnet“ gewesen seien. „Der Vorwurf eines Massakers wird sich nicht halten lassen“, meint der Historiker Prof. Benni Morris von der Ben-Gurion-Universität in Beerschewa. „Aber ich kann die Sorge der israelischen Regierung vor den Folgen einer UN-Untersuchung verstehen.“ Letztlich seien auch Zivilisten ums Leben gekommen. Ambulanzen wurde mit der Begründung, es bestehe Verdacht, die Fahrzeuge würden von Terroristen missbraucht, der Zugang zum Lager verwehrt. „Es gibt keinen Zweifel, dass Israel für schuldig erklärt werden würde.“ Die Palästinenser setzten schon jetzt alles daran, „Tatsachen zu manipulieren“, meint Morris. „Bring ein paar alte Frauen, die „Massaker, Massaker“ kreischen – auch wenn die Untersuchungskommission ihnen nicht glaubt, wird es sie doch beeinflussen“.

Obschon auch in der israelischen Öffentlichkeit die Überzeugung verbreitet ist, man habe nichts zu verbergen, argumentieren Befürworter der Regierungsentscheidung, man dürfe allein deshalb nicht mit der UN-Kommission kooperieren, um „die Würde und Freiheit der Soldaten zu beschützen“. Professor Sober warnt davor, die Armeeangehörigen einem internationalen Gerichtshof auszusetzen. „Wenn die Regierung nicht die beschützt, die sie in den Krieg schickt, dann werden bald immer mehr junge Männer den Dienst an der Waffe verweigern.“ Gleichzeitig sorgt sich Sober um die Beziehungen Israels zur UN, „die wir brauchen und von der wir ein Teil sind, sein müssen“. Die immer stärker werdende Meinung der Bevölkerung, es sei ganz egal, was die Welt über Israel denkt, schreibt der Soziologe einer „jüdischen Paranoidität“ zu. „Wir wollen, dass uns alle mögen. Wenn nicht, dann sollen sie sich zur Hölle scheren.“ Zumindest auf einen Staat, so meint der Historiker Morris, nimmt die Regierung in Jerusalem noch Rücksicht: „Israel interessiert einzig, was die USA denken und tun.“