zukunft des nahverkehrs
: HERMANN BLÜMEL über den verspielten Ökobonus des ÖPNV

Salto rückwärts mit dem Dieselbus

„Fahrt alle Taxi“ war der Titel eines Kommentars von Andreas Knie, Techniksoziologe an der TU Berlin, an dieser Stelle im Februar, anlässlich des 100sten Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die taz diskutiert aus diesem Anlass – immer samstags – streitwürdige Thesen zur „Zukunft des Nahverkehrs“. Zuletzt schrieb Astrid Karl über „Falsche Finanzierung und mangelnden Wettbewerbsdruck“.

Mit Kritik von der Umweltseite rechnet die ÖPNV-Branche grundsätzlich nicht. Bus und Bahn zählen schließlich zum „Umweltverbund“. Doch ist insbesondere der Dieselbus, das Rückgrat des ÖPNV, längst ein Teil des Umweltproblems. Seit geraumer Zeit hat der Pkw den Bus in der Ökobilanz überholt. Ursache dieser Entwicklung ist ausgerechnet die Umweltpolitik: ihr Erfolg wie ihre Einäugigkeit. Dank umweltpolitischen Drucks sind moderne Kat-Autos bei den klassischen Schadstoffen clean. Die technische Entwicklung beim Dieselbus, von der Umweltpolitik erst Mitte der 80er-Jahre als Schadstoffquelle erkannt und von der EU erst seit 1996 wirksam geregelt, weist keine vergleichbaren Minderungserfolge auf.

Zwar fahren ÖPNV-Dieselbusse bei den klimaschädigenden Treibhausgasen noch deutliche Vorteile ein. Bei den Luftschadstoffen schneiden sie allerdings weitaus schlechter ab. Nach Analysen im Auftrag des Umweltbundesamtes emittieren fünf Jahre alte Dieselbusse 5- bis 10-mal mehr Stickoxide pro Kilometer und beförderten Personen als gleichaltrige Kat-Pkws. Stickoxide sind Mitverursacher des Sommersmogs und zudem direkt toxisch wirkend. Das kanzerogene Risiko der Bus-Abgase ist gar 10- bis 15fach höher. Selbst in neuester Bauart werden Dieselbusse von modernen, verbrauchsgünstigen Kat-Autos auf der grünen Seite locker überholt. Ein Drei-Liter-Auto kann sogar bei den Klimagasen gut mithalten, selbst wenn nur der Fahrersitz besetzt ist.

Doch wer will diesen verkehrs- und umweltpolitischen Sprengsatz zünden? Studien vollführen daher gerne den methodischen Salto rückwärts, indem sie von voll besetzten Bussen ausgehen statt mit realer Auslastung rechnen. Dieser Potenzialvergleich begünstigt Bus und Bahn um 30 bis 50 Prozent. Zudem wird das Beförderungserlebnis auf vier Stehplätzen pro Quadratmeter dabei dem Sitzkomfort im Auto gleichgestellt. Das entspricht zwar der Norm des ÖPNV-Verbands, Fahrgäste haben aber andere Komfortbegriffe.

Noch vertrauen ÖPNV-Unternehmen auf die allgemeine Vorstellung, ÖPNV sei per definitionem umweltfreundlich. Verlieren sie diesen Umweltbonus, verspielen sie eine wesentliche Legitimation für ihre gewaltigen Subventionen, derzeit jährlich 16 Milliarden Euro. Zugegeben, für die ÖPNV-Branche kommt die fatale Umweltdiagnose in mehrfacher Hinsicht zum falschen Zeitpunkt: Kommunale Verkehrsunternehmen genießen in Deutschland als lokale Kartelle unter staatlicher Obhut noch immer sicheren Gebietsschutz. Ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission vom Juli 2000 fordert offenen Wettbewerb bei Bus und Bahn. Vergleichbar etwa dem Telekommunikations- und Energiesektor. Darüber hinaus könnte ein für Frühsommer 2002 erwartetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs der bisherigen Finanzierungspraxis des ÖPNV, die die kommunalen Unternehmen begünstigt, das rechtliche Fundament entziehen (siehe taz-Debatte vom 27. April). Außerdem zwingt eine EU-Richtlinie für innerstädtische Luftqualität viele Kommunen zu massiven, kurzfristig wirksamen Eingriffen.

In Berlin beispielsweise müssen die Feinstaubkonzentrationen in manchen Straßenabschnitten bis zum Jahr 2005 um 50 Prozent reduziert werden. Der Verkehr ist Hauptverursacher dieser Belastungen, Dieselruß eine der wirkungskritischen Komponenten. Um die EU-Qualitätsstandards zu erreichen, sind innerstädtische Verkehrsbeschränkungen kaum noch vermeidbar. Politiker werden aber keinem Autofahrer vermitteln können, warum manche Stadtbereiche für seinen privaten Pkw wegen schlechter Luft gesperrt werden und er aus Umweltgründen einen hochemittierenden Bus benutzen soll.

Die vom Bundesverkehrsministerium gefeierte Qualitätsoffensive im ÖPNV thematisiert dies nicht. Nur Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat die Brisanz erkannt. Bereits im Juli 2000 formulierte er, ungewohnt diplomatisch: „Im Wettbewerb mit dem motorisierten Individualverkehr zeichnet sich aus Umweltsicht ein für den ÖPNV nachteiliger Trend ab.“

Kann der Wettbewerb es also richten? Wohl kaum, das zeigen Beispiele aus anderen Branchen. Ein liberalisierter ÖPNV braucht daher umweltpolitische Leitplanken. Die gängige Überregulierung lässt jedoch befürchten, dass die Umweltstandards des ÖPNV bis hin zur Krawattenfarbe des Busfahrers geregelt werden. Zudem gehen die Vorstellungen der befassten Gremien, einheitliche, wenig anspruchsvolle Mindeststandards festzulegen, sowohl am umweltseitigen Handlungsbedarf wie auch am kosteneffizientesten Ansatz vorbei. Den Unterschieden der lokalen Situation – im Innenstadtbereich sind primär der Verkehrslärm und der Dieselrußausstoß zu reduzieren, bei Überlandbussen der Stickoxidausstoß – wird dieser Ansatz nicht gerecht. Verspielt werden die Vorteile einer passgenauen und kosteneffizienten Umweltentlastung. An die Stelle der obrigkeitsstaatlichen Regulierungswut sollte ein modernes Umweltmanagement treten, das konkrete Umweltentlastungspfade und Ziele vorgibt, nicht aber den Weg dorthin. Denn die Zusammensetzung der Busflotte, die Wahl der Technik etc. muss im Verantwortungsbereich der Unternehmen liegen. Hierbei kann die ÖPNV-Politik viel von der Klimaschutzpolitik lernen.

Hermann Blümel, Dipl.-Ing., arbeitet als Consultant für Umwelt- und Verkehrspolitik sowie für Nahverkehrsunternehmen, zudem ist er Mitglied der Projektgruppe „Mobilität“ am Wissenschaftszentrum Berlin