Urbane Entdeckungsreisen

Wer auf Radtour geht, muss die Städte nicht mehr meiden. Vielerorts eröffnen gerade Radrundfahrten neue Perspektiven. Vor allem geführte Thementouren sind gefragt

Der Bedarf an geführten Radtouren hat sich um 10 bis 15 Prozent gesteigert

von UTA GELLERT

Reisende muss man aufhalten. Ein weiser Satz, den Städte nicht erst seit gestern beherzigen. Sichtbares Zeichen: die vielen Reisebusse. Sightseeing möglichst ohne Aussteigen. Doch etliche Städte haben endlich gemerkt, dass sie den Bikern, den wirklichen Outdoor-Fans unter den Touristen, damit nicht kommen können.

Mit ihnen haben sie neuerdings anderes vor. Bestes Beispiel und Vorläufer ist Paris, wo auf geführten Velotouren jährlich mehr als 30.000 Radlern eine pikante Mixtur geboten wird: Bekannte Sehenswürdigkeiten türmen sich direkt vor der Nase auf – ein paar Meter weiter dann ziemlich private Wohnzimmereinblicke.

Et voilà – genau das macht auch hier jetzt die Runde: Das Forum Neue Städtetouren e. V., ein Zusammenschluss von rund zwanzig Städten, führt Touristen zu Fuß oder per Rad durch die City. So in Aachen, Berlin, Bonn, Dresden, Freiburg, Hamburg, Hannover, Kiel, Mainz, München, Münster, Nürnberg, Saarbrücken, Weimar sowie Bern und Brüssel.

Specialeffect bei jeder Tour: das Thema. So tritt der Radler je nach Stadt eine etwa dreißig Kilometer lange Reise durch Geschichte, Politik, Kultur oder auch allzu Menschliches an. Beispiel Münster: „Eine Tour führt zu Boden- und Baudenkmälern, auf einer anderen sind unsere fünf Sinne die Hauptakteure“, so Thomas Holz, Geschäftsführer von StattReisen Münster.

Touren, die gefragt sind: „Der Bedarf an geführten Radtouren hat sich in Münster um etwa 10 bis 15 Prozent gesteigert.“ Übrigens auch bei den Einheimischen – mittlerweile stellen sie ein Drittel der durchschnittlich zwanzig Radler pro Gruppe.

Auch in Hamburg stehen geführte Sattelperspektiven hoch im Kurs: So sieht man auf der etwa dreistündigen Reise entlang der Schuppen und Speicher den Hafen der Hansestadt mal ganz anders.

Und in der Hauptstadt? Dort bietet zusätzlich zu StattReisen Berlin die Fahrradstation von April bis Oktober regelmäßig samstags geführte Fahrradstadtrundfahrten zu aktuellen kulturellen Themen an. Und zweimal täglich ab Bahnhof Friedrichstraße mit „Berlin by Bike“ sogar auf Englisch.

Trotz des guten Zuspruchs sieht das Forum Neue Städtereisen Handlungsbedarf: Die klassische Radtour in ruhiger Landschaft zieht nach wie vor die meisten Menschen an. „Vielleicht weil unsere Touren viel kürzer und themenbezogen sind“, so Piet Beerepoot von StattReisen Hamburg. Das könnte sich aber ändern, so hofft man, wenn die urbanen Angebote nicht nur auf Gruppen plus Führung abzielen. Gut ausgeschilderte Routen, die man individuell abfahren kann, brauche die Stadt. Dazu das entsprechende Kartenmaterial, überhaupt eine Radtouristen-freundliche Infrastruktur.

Als Vorbild gilt hier der Mauer-Radweg in Berlin. Das alte Bollwerk ist mittlerweile fast spurlos verschwunden und ohne detailliertes Kartenmaterial nicht auffindbar. Eine im letzten Jahr im Esterbauer Verlag erschienene Beschreibung sagt, wo’s langgeht. Zudem kommt in diesem Radtourenbuch Wissenswertes nicht zu kurz.

Dem ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) ist es allerdings schnurz, ob ausgeschildert oder geführt. Hauptsache, die inneren Werte stimmen. Seine Definition von „Städtetourismus mit dem Rad“ weist eine Anzahl von Kriterien auf, die zumindest „teilweise erfüllt werden sollten“.

Will sagen, dass die Strecke attraktiv sowie durchgängig und sicher befahrbar sein soll. Außerdem geht bei ihm angesichts von chaotischen Wegweisern der Daumen runter, rauf hingegen bei ausgebildeten Gästeführern.

Informationen zu geführten Städtetouren sind erhältlich beim Forum Neue Städtereisen e. V., Bartelsstraße 12, 20357 Hamburg, Telefon 0 40-4 30 34 81, info@stattreisen-hamburg.de, www.stattreisen.org; Fahrradstation GmbH, Bergmannstraße 9, 10961 Berlin, Tel. 0 30-2 15 15 66, welcome@fahrradstation.de, www.fahrradstation.de