Wälder, Wale, Wählerstimmen

Keine Bundesregierung war in der Umweltpolitik so erfolgreich wie Rot-Grün. Und das liegt nicht an der SPD. Wer mehr will als grüne Mittelstreifen, muss auf die Grünen setzen

Das größte Manko der Grünen: Ihre Konzepte sind zukunftsfähig, ihre Politik abernicht mehrheitsfähig

Die Grünen haben es nicht leicht mit den Wählern. Nicht wenige sind heute schwer enttäuscht, weil die Partei manche Wahlversprechen nicht einhalten konnte. Die Grünen haben es auch nicht leicht mit sich selbst. Einerseits sind die grünen Parlamentarier und Minister längst keine Protestpolitiker mehr. Andererseits trauen die Grünen traditionell ihren eigenen Erfolgen nicht.

Sicher, bei der Friedenspolitik, Steuerfragen oder den Bürgerrechten hat die Partei in den letzten vier Jahren frühere, zum Teil fundamentale Positionen aufgegeben. Beim Umweltschutz jedoch hat sie sich in weiten Bereichen durchgesetzt. Ihre Arbeit ist weit besser als ihr Ruf.

Natürlich hätte es bessere Kandidaten gegeben als Jürgen Trittin für das Amt des Umweltministers und bessere Alternativen als Renate Künast für das Landwirtschaftsministerium; natürlich hätte man den Atomkonsens besser verhandeln können; natürlich bleiben auch im Jahr 2002 fundamentale Umweltprobleme Deutschlands nicht gelöst.

Doch: Die Grünen haben die Ökosteuer durchgesetzt, die den Einstieg in ein ökologisch sinnvolles Finanzsystem ermöglicht; sie haben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen genutzt, um das Auslaufen der Atomkraftwerke festzuschreiben und auch gegen einen Regierungswechsel zu sichern. Ihnen verdanken wir ein Naturschutzgesetz, auf das die Umweltschützer seit Jahrzehnten gewartet haben, und einen Schub für die erneuerbaren Energien, der eine andere Energiezukunft zumindest erahnen lässt. Auch haben die Grünen Milliarden für die Bahn locker gemacht und eine Lkw-Maut durchgesetzt, um, statt immer mehr Autobahnen zu bauen, wirkliche Verkehrspolitik zu machen; sie haben ein Klimaschutzprogramm durchgesetzt, mit dem Deutschland sein Klimaziel zumindest erreichen könnte; sie haben es erreicht, dass die Bundesregierung sich auf eine nationale Strategie zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Und: Sie nutzten die Chance, die Landwirtschaft von einem der schlimmsten Umweltfeinde zu einem Vorreiter für ökologische Politik zu machen.

Warum also leben wir nicht in einem Öko-Wunderland? Die Antwort hat drei Buchstaben: SPD. Die Sozialdemokraten haben gebremst, wo sie nur konnten: Atomausstieg nur im Kompromiss, reihenweise Ausnahmen von der Ökosteuer für die Kohlelobby, ein selbst ernannter Autokanzler kein verpflichtender Emissionshandel. Die Sozialdemokratie, besonders unter dem übermächtige Druck der NRW-SPD, präsentierte sich in allen Energie- und Finanzfragen so strukturkonservativ wie die CSU in Bayern. Die Umweltpolitker der SPD, Michael Müller, Hermann Scheer oder Ernst Ulrich von Weizsäcker, sind in der Partei isoliert und haben gegen Schröders Machermachismo keine Chance.

Anders als die FDP unter Kohl haben die Grünen es unter Schröder selten verstanden, Konflikte mit dem großen Koalitionspartner zur Profilbildung zu nutzen. Statt öffentlich in die Konfrontation zu gehen, wurden etwa beim Gewürge um die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung schnell Kompromisse gesucht. Aus Angst vor dem Image des unsicheren Kantonisten haben die Grünen im Zweifel ihre Ansprüche herunterverhandelt.

Ist es also egal, ob der Kanzler Stoiber oder Schröder heißt? Keineswegs. Man stelle sich nur mal einen Politiker der Union oder der FDP als nächsten Umweltminister vor. Selbst bei langem Nachdenken fällt einem kein schwarz-gelber Politiker ein, der in den letzten Jahren drei vernünftige Sätze zur Umweltpolitik gesagt hat. Im Gegenteil: Die einstige Umweltministerin Angela Merkel hatte zuletzt nichts Besseres zu tun, als die damals von ihr einst selbst geforderte Ökosteuer als „K.o.-Steuer“ zu diffamieren.

Man muss die Grünen nicht lieben, um sich zu wünschen, dass sie auch in der Zukunft die Umweltpolitik bestimmen. Und man muss ihrer Befindlichkeitsrhetorik nicht folgen, um sie mit einem klaren umweltpolitischen Auftrag ins Parlament zu schicken. Man kann sie einfach als das geringste Übel betrachten – eine Sichtweise, die vielen Grünenwählern und Parteimitgliedern nur schwer zu vermitteln ist. Für sie muss der Umweltminister ein Held in glänzender Rüstung sein, der keine Kompromisse eingeht, wenn es um Wälder, Wale oder Wählerwünsche geht. Diese Haltung ist verständlich, aber weltfremd. Denn dass in ökologischen Fragen wie überall sonst gefeilscht, gedroht, erpresst und gedealt wird, ist normal. Schließlich will die Umweltpolitik kein Biotop der Gutmenschen sein, sondern etwa in den Ressorts Verkehr, Wirtschaft und Landwirtschaft kräftig mitmischen.

Das größte Manko der Grünen: Ihre Konzepte sind zukunftsfähig, ihre Politik aber ist nicht mehrheitsfähig. Schlimmer noch: War es früher relativ einfach, Wähler und Mitglieder gegen die böse Chemieindustrie oder den skrupellosen Atomstaat zu mobilisieren, haben die Feindbilder an Kraft verloren. Heute entscheiden Verbraucher die ökologische Fragen an der eigenen Steckdose, der Zapfsäule und an der Wursttheke. Da ernsthafte Umweltpolitik deshalb immer eine Zumutung sein wird, können die Grünen zwar ohne Rücksicht auf die werktätigen Massen die notwendigen ökologischen Imperative formulieren. Aber sie werden deshalb auch immer einen großen Koalitionspartner brauchen – und da gibt’s auf absehbare Zeit nur die SPD. Da die das weiß, drückt sie die Grünen gern an die Wand. Aus diesem Teufelskreis gibt es drei Auswege: Man verlegt sich auf Lösungen, die allen Beteiligten Vorteile bringen; man arbeitet mit den Teilen der Wirtschaft zusammen, die sich von einer ökologischen Modernisierung Vorteile erwarten; oder man wartet auf die nächste Katastrophe und nutzt den Leidensdruck für Veränderungen. Das mag zynisch klingen. Doch die BSE-Krise und auch die Terroranschläge vom 11. September haben gezeigt, dass in Ausnahmesituationen unmögliche Dinge plötzlich machbar sind. Für alle diese Punkte muss man die richtigen Konzepte, das richtige Personal und den nötigen Dickschädel haben. Bei den Grünen ist das oft vorhanden. Den anderen Parteien ist das Thema Umwelt im Zweifel nicht wichtig genug.

Da die Grünen nicht als unsichere Kantonisten gelten wollten, haben sie zu oft der SPD nachgegeben

Ob es einem passt oder nicht – für eine ökologische Politik, die mehr als ist als die Begrünung des Autobahnmittelstreifens braucht es die Grünen. Scheitert Rot-Grün im September, wird es nicht an der Öko-Partei liegen, die sich konstant irgendwo bei 7 Prozent bewegt. Scheitert die Koalition, liegt es an der SPD, die ihre Stammwähler nicht begeistern kann. Für die Umweltpolitik wäre das Ende von grünen Umwelt- und Agrarministern eine kleine Katastrophe.

Für die Grünen allerdings nicht. Sie werden wieder bequem Opposition machen, ohne sich in anrüchigen Kompromissen zu verstricken. Aber sie haben gezeigt, dass sie effektive Umweltpolitik machen können. Gegen populistische Gegner wie Angela Merkel. Und selbst mit opportunistischen Verbündeten wie Gerhard Schröder.

BERNHARD PÖTTER