Die Grenzen der Gemeinsamkeit

Trotz emphatisch beschworener Harmonie kann der EU-USA-Gipfel die Brüche in den transatlantischen Beziehungen kaum überdecken. Die USA halten die Europäer für propalästinensisch und wittern einen neuen Antisemitismus in Europa

aus Washington MICHAEL STRECK

Zwar konnte US-Außenminister Colin Powell nach dem Ende der Gespräche vor die Kameras treten und eine internationale Nahostkonferenz für den Frühsommer ankündigen – ein Erfolg. Doch die Brüche im Verhältnis zwischen Europa und den USA, das zeigte der so genannte EU-USA-Gipfel am Donnerstag, werden wieder tiefer.

Nachdem die Terroranschläge des 11. September in immer weitere Ferne rücken, zeigen sich dies- und jenseits des Atlantik wieder die bekannten Reflexe gegenseitiger Ressentiments. Die Europäer beklagen den in ihren Augen wachsenden Unilateralismus der Amerikaner in der Außenpolitik, die US-Schutzzölle auf Stahlimporte, die Abneigung der Regierung von Präsident George W. Bush gegen internationale Verträge. Die US-Amerikaner wiederum sind über die starke Unterstützung der Palästinenser in Europa irritiert und wittern sogar einen neuen Antisemitismus.

Vor diesem Hintergrund war die Atmosphäre am Donnerstag geradezu harmonisch. Immer wieder, geradezu beschwörend, war aus beiden Lagern von Gemeinsamkeiten die Rede. Freunde dürften manchmal auch anderer Meinung sein, sagte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. „Dennoch teilen wir die gleichen Werte und ziehen gemeinsam an einem Strang.“ Erhebliche Fortschritte habe es bei der Terrorbekämpfung gegeben. Brüssel und Washington wollen gemeinsam für mehr Sicherheit im See- und Luftverkehr sorgen und in Flüchtlings- sowie Asylfragen enger zusammen arbeiten. Ein besserer Datenaustausch zwischen den Geheimdiensten soll helfen, internationale Transaktionen zur Terrorfinanzierung aufzudecken.

Dominierendes Thema war jedoch der Nahostkonflikt. Außenminister Joschka Fischer betonte in dieser Frage ein „hohes Maß an Übereinstimmung“ mit der US-Regierung. Bush sagte, die USA und die Europäische Union hätten eine gemeinsame Vision von zwei Staaten, Palästina und Israel, die friedlich Seite an Seite existierten. Dennoch sorgt sich Fischer um die öffentliche Meinung und die verschiedene Wahrnehmung in den Parlamenten in der alten und neuen Welt. Kaum hatte er seine Gedanken ausgesprochen, wurden sie vom US-Kongress, gleichsam in einer Lektion US-amerikanischer Befindlichkeit, bestätigt. Trotz massiver Bedenken des Weißen Hauses verabschiedeten Senat und Abgeordentenhaus mit großer Mehrheit eine Resolution, in der die volle Solidarität mit Israel bekundet wird. In der Entschließung wird unter anderem die Zerstörung terroristischer Infrastrukturen in den Palästinensergebieten gutgeheißen. Bush und Powell hatten gewarnt, eine solche Resolution könne die Lage in Nahost wieder anheizen. Die Haltung im Kongress symbolisierte somit auch die Grenzen der viel beschworenen Gemeinsamkeiten.

Während Europa zum Beispiel Jassir Arafat klar als legitimen Vertreter der Palästinenser und somit als Verhandlungspartner anerkennt, herrscht in den USA die Ansicht vor, dass Arafat ein Terrorist und als solcher zu behandeln sei. Während der letzten Mission Colin Powells geriet die Regierung in argumentative Schwierigkeiten: Nach der Bush-Doktrin, wer Terroristen fördere oder beherberge, sei als Terrorist zu behandeln, sei die diplomatische Haltung Arafat gegenüber inkonsequent, hieß es.

Streit auch um Afghanistan: Um das Land langfristig zu stabilisieren und zu befrieden, fordern die Europäer massive Hilfe beim „Nation-Building“. Im Weißen Haus zögert man noch, doch die Anzeichen mehren sich, dass sich die USA ihrer Verantwortung am Hindukusch nicht entziehen werden.

Gänzlich ungeschminkt geht es zur Sache, wenn es um den Irak geht. Die EU lehnt ein rasches militärisches Vorgeben ab. „In Europa sieht man die Debatte um einen Militäreinsatz mit großer Skepsis“, sagte Fischer. Ungeachtet der Kritik entwerfen die USA derweil ständig neue Szenarien für einen Militärschlag zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein.

Trotz aller Spannungen wird der Grünenpolitiker nicht müde, die Bedeutung der für ihn „essenziellen“ transatlantischen Beziehungen zu betonen. Den wieder um sich greifenden Antiamerikanismus in Europa lehne er ab. In der Partnerschaft zwischen den USA und der EU liege der Schlüssel, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Vielleicht eine sehr europäische Sichtweise. Die meisten US-Amerikaner erfuhren gestern nichts über ihren wichtigen Verbündeten hinter dem großen Ozean. In den Nachrichten zur Hauptsendezeit wurde das Treffen nicht erwähnt.

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