Edmunds Ex

Stoiber kommt immer und überall zu spät. Aber beim Versöhnungsgesprächwar er pünktlich

von STEFAN KUZMANY

Wenn hier einer wartet, dann der Journalist. „Der Herr Abgeordnete kommt gleich“, bescheidet der Kellner, nicht ohne vorher genau nach dem Grund des Aufenthalts gefragt zu haben. Denn ohne Grund oder Mandat speist niemand im hinteren, im feinen Teil der Gaststätte des bayerischen Landtags. Vorne fragt niemand, vorne, wo der CSU-Generalsekretär Thomas Goppel gerade mit einer munteren Seniorinnenschar leutselig schwatzend eine Brotzeit verzehrt.

Der Herr Abgeordnete kommt gleich. Er hat ein Separé reserviert, einen kleinen Erker mit verschließbarer Tür, da lässt es sich sehr angenehm warten, wie es überhaupt ein Hochgefühl sein muss, täglich im bayerischen Landtag ein und aus zu gehen. An der Isar gelegen, inmitten einer grünen Insel, ragt das Maximilianeum über die Stadt. Ocker leuchtet die Fassade, wenn die Sonne scheint wie an diesem Tag, an der Außenfassade prangen Malereien von bayerischen Feldherrn, vor der breiten Auffahrt sprudeln die acht Fontänen des Springbrunnens.

Da kommt der Herr Abgeordnete. Tadelloser Anzug, fester Händedruck, gewinnendes Lächeln, tiefe Stimme. Sauter weiß, warum man ihn sprechen will. Seit sich Edmund Stoiber seiner entledigt hat, weil er in der Affäre um die halbstaatliche bayerische Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft, die LWS, einen Sündenbock brauchte, ist das Verhältnis der ehemals engen politischen Gefährten gestört. Stoiber hatte ihn in auf dem Mobiltelefon angerufen und aus dem Amt als Justizminister geworfen. Eine verfassungsrechtlich nicht haltbare Kündigung, denn nur das Landesparlament kann ein Kabinettsmitglied entlassen. Bevor der erboste Stoiber von „Vertrauensbruch“ gesprochen und zum Handy gegriffen hatte, hätten sie sich zu einem letzten Gespräch getroffen. „Da habe ich ihm gesagt: Ich weiß, dass du mich rauswerfen wirst. Aber denke daran, du wirst es nie vergessen.“

Sauter hatte sich gewehrt, war eine Woche lang Minister ohne Geschäftsbereich, ging trotzig zur Kabinettssitzung, mischte sich auf der anschließenden Pressekonferenz unter die Journalisten. Seiner Entlassung durch das Parlament kam Sauter dann doch durch seinen Rücktritt zuvor, die Plenarsitzung des bayerischen Landtags vom 13. September 1999 geriet dennoch zu einem denkwürdigen Spektakel. Sauter, von der Regierungspartei auf einen der letzten Redeplätze verwiesen, verhehlte sein Befremden über Stoiber nicht: „Dieses Verhalten gegenüber einem langjährigen Mitglied der bayerischen Staatsregierung entbehrt nach meiner Überzeugung jeglicher Art von Anstand und Stil.“ Er sei „pausenlos schwer gedemütigt worden“. Der „Herr Ministerpräsident“ habe ihn „deutlich spüren lassen, dass er es nicht erwarten kann, sich endlich meiner entledigen zu können“. Sein Abgang aus dem Kabinett war ja wohl ein in Bayern beispielloser Vorgang? Da widerspricht Sauter, lächelt und sagt: „Ich würde das nicht auf Bayern beschränken.“

Viel hätte aus Alfred Sauter werden können. Mit 17 Jahren Eintritt in die Junge Union, acht Jahre lang deren bayerischer Vorsitzender, öffentliche Duelle mit Gerhard Schröder, dem damaligen Juso-Chef. Bundestagsmandat, später jüngstes Mitglied der bayerischen Staatsregierung. Er war bayerischer Beauftragter für Bundes- und Europaangelegenheiten, Schriftführer im Bundesrat, schließlich Justizminister.

Nach seinem Rauswurf folgte ein tiefer Sturz. Beim Parteitag 1999 wurde er mit dem zweitschlechtesten Ergebnis aus dem Parteivorstand gewählt. Landtagsabgeordneter ist er noch, und Vorsitzender seines CSU-Kreisverbandes in Günzburg. Vom politischen Geschäft, lässt er durchscheinen, hält er heute nicht mehr sehr viel.

Heute wirkt Sauter weder enttäuscht noch gedemütigt. Weit breitet er die Arme aus, links und rechts lehnt er sich auf die Bankstütze. So sieht ein Mann aus, dem man ansehen soll, dass es ihm gut geht. Kann, darf denn einer wie Stoiber Kanzler werden? „Die anderen müssen weg“, antwortet Sauter. In den Methoden des Machterhalts unterscheiden sich Schröder und Stoiber seiner Ansicht nach kaum. Immerhin, Stoiber habe gelernt aus dem Theater um die Entlassung: „So etwas würde er sich heute nicht mehr erlauben.“

Nach dem Ende seiner Regierungsbeteiligung musste sich Alfred Sauter, jetzt 51 Jahre alt, neu sortieren, sich als Rechtsanwalt „eine neue Lebensgrundlage aufbauen“ – was anfangs nicht leicht war. „Es gab den Versuch, mich kaltzustellen“, sagt er.

Peter Gauweiler, Kanzleipartner aus früheren Tagen und ebenfalls bei Stoiber in Ungnade gefallen, warnte ihn, dass es nicht leicht werden würde, Mandanten aufzutun. „Du wirst sehen“, soll Gauweiler zu Sauter gesagt haben, „von hundert Leuten, die du anrufst, wirst du bei neunzig nicht mal über die Sekretärin hinauskommen. Von den zehn, die du dann tatsächlich sprichst, bleibt vielleicht ein Klient übrig.“ Sauter bestätigt, dass es erst leichter geworden sei, nachdem der Untersuchungsausschuss im Mai vergangenen Jahres seinen Abschlussbericht zur LWS-Affäre vorgelegt hatte.

Als die LWS-Affäre für Stoiber glimpflich zu Ende gegangen war, kam es wieder zu einer Annäherung zwischen den Zerstrittenen. Denn der CSU-Chef leistet sich keine Feinde in seiner Partei, wenn es sich vermeiden lässt. „Ich bin für jeden zu sprechen, und das gilt auch für Alfred Sauter“, erklärte Stoiber.

Also erhielt Sauter einen Anruf aus der Staatskanzlei, der Ministerpräsident wolle ihn treffen. Wann er denn einen Termin frei habe? Es freut Sauter augenscheinlich, dass man sich um ihn bemühte. Zunächst sollte das Gespräch in der Staatskanzlei stattfinden, was er natürlich abgelehnt habe: „Ich gehe doch nicht dort hin, wo er mich herausgeworfen hat.“ Also schlug er ein Lokal vor, sofort, erzählt er, sei sein Vorschlag akzeptiert worden. Stoiber, der immer und überall zu spät kommt, ließ seine drohende Verspätung um eine halbe Stunde telefonisch entschuldigen. Und erschien pünktlich. Ein seltenes Ereignis.

Wieder lächelt Sauter hochzufrieden, immer auffälliger wird sein Lächeln. Es ist ein unglaublich strahlendes Lächeln, das Lächeln des Erfolgs, das Lächeln eines Mannes, der weiß, der gelernt hat, wie man lächeln muss, um zu überzeugen, kleine Falten legen sich um seine Augen, die dann energiegeladen das Gegenüber fixieren, haben Sie mich verstanden, wir verstehen uns. Ein seltsamer Gegensatz zu den immer wieder im Raum irrlichternden Blicken, die ständig auf der Suche zu sein scheinen nach bekannten Gesichtern, als erwarte er noch jemanden oder befürchte das Auftauchen einer bestimmten Person.

Beim Versöhnungsgespräch legte ihm Stoiber dann lang und breit dar, dass und warum er auf gar keinen Fall Kanzlerkandidat der Union werden wird. Sauter hat widersprochen. Weil er weiß, dass Stoiber ständig nach immer noch höheren Aufgaben strebt, seinen Blick immer nach oben gerichtet.

„Ich weiß, dass du mich rauswerfen wirst. Aber denke daran, du wirst es nie vergessen“

Ob er sich denn, bei all der Wertschätzung und Aufmerksamkeit, die ihm von Seiten des Kanzlerkandidaten wieder entgegengebracht wird, vorstellen könne, wieder ein Amt zu übernehmen? Nein. Erstens verdiene er jetzt als Anwalt ein Vielfaches seiner Ministereinkünfte, und das, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen wie ein Politiker in Spitzenstellung. Und zweitens habe er in der Politik bereits alles erreicht. Und überhaupt: Er könne sich nicht mehr vorstellen, auf jeden Termin zu rennen, wie das von Mitgliedern der Bayerischen Staatsregierung erwartet wird.

Ende Januar meldete der Focus, Sauter sei als Wahlkampfmanager des Kanzlerkandidaten im Gespräch. Wie konnte die CSU nach der LWS-Vorgeschichte nur auf einen solchen Gedanken verfallen? Für Sauter scheint eine Berufung nicht absurd: „Es ist mir zugetragen worden, dass mein Name in diesem Zusammenhang diskutiert wurde. Die wissen, dass ich das kann.“ Mit ihm persönlich habe man allerdings nicht gesprochen. Das sei auch nicht die Praxis in der CSU. Erst falle die Entscheidung für eine Person. Dass diese den Auftrag dann annimmt, davon gehe man wie selbstverständlich aus.

Ein Kenner der bayerischen Landespolitik erzählt eine ganz andere Version der Geschichte: Man habe im Kreis der Stoiber-Vertrauten über mögliche Medienberater gesprochen, dabei seien viele Namen gefallen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein sei es gewesen, der, um auf die Absurdität mancher Vorschläge hinzuweisen, im Scherz gesagt habe: „Da können wir gleich den Sauter nehmen.“ Sofort nachdem das Gerücht um Sauters neue Aufgabe in den Medien auftauchte, dementierte der CSU-Generalsekretär Thomas Goppel entschieden und nannte Sauters Berufung ein „Hirngespinst“.

Kürzlich war Alfred Sauter mal wieder in der Zeitung. Doch keine Affäre, kein Gerücht hatte Sauter für das Münchner Boulevardblatt AZ interessant gemacht, sondern seine schiere Präsenz auf einer Buchvorstellung des Unternehmers, TV-Moderators und „Motivators“ Erich Lejeune. Der Autor von Büchern wie „Du schaffst, was du willst“, „So verkaufen Sie sich reich“ und „Lebe ehrlich – werde reich!“ hat ein neues Werk auf den Markt geworfen: „Mein Marathon des Lebens. Nur der Wille führt zum Ziel.“ Nach Art amerikanischer Prediger peitscht Lejeune seinen begeisterten Zuhörern und Lesern Selbstbewusstsein ein. „Den finde ich gut“, sagt Sauter über Lejeune, „der hat einiges geschafft.“ Manche täten alles, um in die Zeitung zu kommen. Andere legten es nicht darauf an und sind einfach drin. „Wenn ich noch Justizminister wäre, hätte das niemand wahrgenommen, dass ich da war.“

Oft sei er in der Presse als Opportunist dargestellt worden, als einer, der sein Fähnchen in den Wind hängt. „Ich habe den Streit um meine Entlassung auch deshalb so hart durchgefochten, um diese Unterstellung aus der Welt zu schaffen.“ Folgt man Alfred Sauter, dann war selbst sein Hinauswurf ein Erfolg auf der ganzen Linie. Jetzt spielt er mit dem Verschluss seiner Armbanduhr. Klack, klack, auf, zu, klack, klack. „Ich habe an Popularität gewonnen.“

Anruf in der Kanzlei Sauters, es gibt noch einige Detailfragen zu klären. Ist das überhaupt die richtige Telefonnummer? Es meldet sich eine Vorzimmerdame. Verzeihung, Ihr Chef ist doch der ehemalige bayerische Justizminister? Die Frau am anderen Ende der Leitung zögert. Und bittet darum, gleich noch mal anzurufen: „Da muss ich erst mal nachfragen.“