Gefangene der Gefühle

Schleichende Zerstörung einer Liebe nicht durch Gift, sondern durch fehlgeschlagene Kommunikation: Michael Thalheimers Inszenierung von „Kabale und Liebe“ wirft Schillers Pathos in die Sprachlosigkeit

Luise bewegt die Lippen, aber kein Ton kommt heraus. Ganz allein steht sie zwischen hohen grauen Mauern. Minutenlang hat ihr Geliebter Ferdinand auf sie eingeredet, gebrüllt und getobt. Doch Luise bleibt stumm, steif und abgewandt. Eine Heroin des Abschieds. Kein Gift wie bei Schiller beendet schlagartig die gesellschaftlich verpönte Liebe zwischen der Musikantentochter und dem Präsidentensohn, in Michael Thalheimers radikal-poetischer Inszenierung von Kabale und Liebe bringt schleichende Sprach- und Verständnislosigkeit die Liebenden auseinander.

Dabei waren sie anfangs so glücklich. Hand in Hand betreten Luise und Ferdinand die Bühne, schlingen die Finger ineinander, lächeln glücklich wie nur Verliebte. Zu gefühlvoller Musik öffnet sich eine Mauer im Hintergrund und gibt ein warm strahlendes Kreuz aus Licht frei. Doch Luise und Ferdinand sind nicht allein auf der Welt. Bald schon betreten Eltern und andere Störenfriede die Bühne.

Jeder von ihnen hat ein anderes Interesse, das Paar auseinander zu bringen. Ferdinands Vater will seine politische Stellung durch eine Heirat seines Sohnes festigen. Und zwar mit Lady Milford, die ihrerseits in Ferdinand verliebt ist. Luises Vater kann seine Tochter nicht loslassen, der Sekretär Wurm hat außerdem ein schleimiges Auge auf Luise geworfen.

Alle Protagonisten, so zeigt Thalheimer in stillen wie slapstickhaften Szenen, sind in ihrer Gefühlswelt so gefangen, dass sie sich nicht aufeinander zu bewegen können. Monoton leiern die Schauspieler den Text herunter, als hätte er nichts mit ihnen zu tun. Oder sie bewegen stumm die Lippen. Dann brechen sie plötzlich in manische Gefühlsbekundungen aus. Peter Kurth in der Rolle des machtgeilen Präsident von Walter agiert hier mit Abstand am exaltiertesten: Er lässt richtig die Sau raus. Erst schneidet er halloweenreife Grimassen des Ekels und der Verachtung vor seinen Untergebenen. Dann windet er sich wie ein Wurm, als sein renitenter Sohn ihm die Zwangsheirat mit der Drohung verwehrt, seine illegalen Machenschaften auffliegen zu lassen. Und Sekunden später mimt er wieder aalglatt den eloquenten Pokerface-Politiker.

Nur Fritzi Haberlandt als Luise bleibt gefasst und zurückgenommen. In diesem Zirkus der Begierden, in dem phasenweise alle Beteiligten ihre unterdrückte Gefühlswelt in allerlei Kapriolen ausleben dürfen, ist sie Würde und Ernsthaftigkeit in Person. Und sehr allein. Karin Liebe

7., 8. + 10.5., 6. + 7.6.,20 Uhr, Thalia