„Ihr werdet nie deutscher Meister“

Ein dumpfes „Dongdung“ verkündet beim 3:2 der Münchner Bayern gegen Hansa Rostock das Ende aller Titelträume und den unemotionalen Abschied vom langjährigen Kapitän Stefan Effenberg, der plötzlich einfach weg war

MÜNCHEN taz ■ Das Orakel sprach mit düsterer Stimme, dem traurigen Anlass entsprechend. Wenn auf der Videotafel im Olympiastadion die Zwischenstände aus anderen Stadien verkündet werden, spielt die Regie zwei Gong-Töne ein! Finstere Bimmler, kein fröhliches Dingdong, eher ein verkrampft-gedämpftes Dongdung, so als würde jemand die Hand auf die übermütige Glocke halten.

Normal reagiert der Bayern-Fan auf das Gebimmel genervt bis gelangweilt, schaut kaum auf vom Spiel. Er braucht den Ergebnisdienst nicht: Was interessiert’s mich, was auf Platz 4 oder 17 passiert? Mein Verein ist spitze, mein Verein marschiert, und das vorneweg. In dieser Saison war das anders, musste zuletzt gar das Miniradio entstaubt werden, geriet der Blick zur Videotafel bang und bänger. Am letzten Spieltag gongte es 29-mal – zwei richtige Gongs im richtigen Stadion haben gefehlt zur Meisterschaft.

Selten hat man hier so sehr auf dieses Geräusch gelauert. Und es kam bald: 8:43 Minuten waren gespielt, da ging nach dem Gegonge der bittende Blick zur Tafel – und danach ein Enttäuschungsseufzer durchs Rund: Tor in Gladbach. Warum spielen die überhaupt noch? Aber es kam schlimmer. Schon Gong Nr. 2 beendete praktisch die Saison. 9:22: Tor in Leverkusen, ein gewisser Ballack – time to say good bye zum vierten Meistertitel in Folge. Auch Dongdung Nr. 4 – Bremens 1:0 in Dortmund – war nur Vorspiel zum Totengeläut: Koller traf, Ewerthon traf, und die frechen Rostock-Fans sangen: „Nie deutscher Meister, ihr werdet nie deutscher Meister“.

Um 17:17 Uhr war der Meister nur noch Exmeister, das 3:2 gegen Hansa Rostock so egal wie 88, blieb nur noch Wahrung der Contenance (Kahn: „Es fehlt schon ein bisschen was“) und die sportsmännische Pflicht, den anderen zu gratulieren. Was bei Thorsten Fink noch am ehrlichsten klang: „Ich hab gerade gesehen, wie die Dortmunder die Schale gekriegt haben. Jetzt kann ich mir vorstellen, wie das in den letzten drei Jahren für die anderen war, als wir immer die Schale hatten.“ Selbst Bayern-Profis können also noch was lernen.

Und schon sind wir beim Unbelehrbaren. Ein merkwürdiger Abschied war das von Stefan Effenberg. Kam, winkte, setzte sich noch eine Halbzeit auf die Bank und war dann weg. Einfach fort. Kein Interview mehr, keine Worte an die Fans, dicke Kohler-Tränen ja schon dreimal nicht. Im dunklen Anzug, das seltsam karierte Hemd natürlich über der Hose – nur nicht spießig werden als Passiv-Kicker – musste der „Cheffe“ sich mit dem ebenfalls aussortierten Paulo Sergio mit Blumen beschenken lassen, überreicht von seinen Lieblingsfunktionären Hoeneß&Rummenigge. Wie zwei Karl-May-Indianer ans Lagerfeuer pirschten sich die beiden an den zu Ehrenden, setzten die warmen Worte ab und schritten irgendwie erleichtert wieder von dannen. 63.000 Zuschauer klatschten heftig, ein paar hielten „Danke, Effe“- und „Good bye, Tiger“-Plakate hoch, nur Lizarazu gab seinem Exkäpt’n noch einen Klaps mit auf die letzten Meter auf Münchner Rasen – ein unemotionaler Abschied für den „Kapitän einer der erfolgreichsten Mannschaften, die der FC Bayern je hatte“ (Kahn). Hoffentlich bleibt Effenberg wenigstens das Schicksal von Thomas Helmer erspart. Der bekommt am Dienstag sein Abschiedsspiel – in Bielefeld. Na, vielen Dank auch.

Ein offizielles Servus für Carsten Jancker gab es nicht. Aber den Zusatz „Fußballgott“ wie nach seiner Einwechslung in Minute 70 wird der Stürmer wohl so schnell nicht mehr hören. „Carsten geht davon aus, dass er wechselt“, sagte Hoeneß, nur dürfte die Klubsuche ähnlich schwierig werden wie bei Kumpel Effenberg. Vor seiner Einwechslung gegen Rostock übte er fleißig Sit-ups, und irgendwie sah das eher nach Vorbereitung der Waschbrettbauch-Badesaison aus als nach Fußball-WM.

Uli Hoeneß ist mit den Gedanken längst weiter. „Das war ein Umbruch auf höchstem Niveau. Im nächsten Jahr gibt es aber überhaupt keine Ausreden. Wir werden die Mannschaft stark unter Druck setzen, dass wir nicht so viele schlechte Spiele sehen wie dieses Jahr.“ Da dürfte jedem klar gewesen sein, was die Stunde gegongt hat.

THOMAS BECKER