Norwegen – ein Land rüstet auf

Bis in drei Jahren soll es nur noch digitales TV geben. Die Boxen dazu gibt es gratis

Das digitale Fernsehen war bisher ein Flop, von Spanien bis Finnland. Die Zuschauer schrecken vor den teuren Zusatz- oder Neugeräten zurück, schließlich gibt es ja noch das gute alte Analogfernsehen. Die Anbieter, die schon den Sprung in die digitale Zukunft gewagt haben, bekommen ihrerseits das Geschäft nicht in den Griff und können daher keine attraktiven Programme liefern – was potenzielle Kunden wiederum vom Kauf abhält.

Aus diesem Kreislauf will man in Norwegen mit einem Radikalkonzept herauskommen. Bis in drei Jahren soll das digitale TV-Bodensendenetz komplett ausgebaut und das analoge Netz endgültig abgeschaltet sein. Der Clou: Finanziert werden die schwarzen Boxen, die den Haushalten dann die bunten Bilder auf die Glotze bringen sollen, von den Fernsehsendern – von öffentlich-rechtlichen und privaten, Schulter an Schulter.

Oddvar Kirkbakk vom staatlichen Fernsehen NRK, das zusammen mit TV 2 – dem im Eigentum mehrerer Zeitungsverlage stehenden norwegischen „Zweiten“ – die für das neue Digitalfernsehen verantwortliche Sendedistributionsgesellschaft „Norwegisches Fernsehen“ (NTV) betreiben soll, nennt gleich mehrere Gründe für diese Großzügigkeit: „Wir wollen, dass jeweils ein Teil des Landes geschlossen zu einem neuen System übergeht. Dann können wir das analoge System gleichzeitig stilllegen. Es ist nämlich unnötig und fürchterlich teuer, zwei Systeme nebeneinander zu betreiben.“ Zudem: Ferngucken ohne private Zusatzinvestitionen zu haben – das sei so etwas wie ein Grundrecht des Gebührenzahlers. Nehme man ihm das Analogfernsehen weg, dürfe das nicht zu seinen Lasten gehen.

Nix für Schwarzgucker

Ein vermutlich nicht ungern gesehener Nebeneffekt: Die Zahl der Schwarzseher dürfte zumindest vorübergehend rapide absinken. Denn nur wer brav seine Gebühren löhnt, kriegt eine Box. Kirkbakk hofft, dass Norwegen mit seiner Gratisidee die in anderen europäischen Ländern gemachten Fehler vermeiden wird: „Auf Eigeninitiative der Zuschauer zu warten und darauf, dass diese sich die Boxen kaufen – das ist doch überall total in die Hose gegangen.“ Die Gratisboxen erlauben den Empfang von bis zu fünf Kanälen, welche die hinter NTV stehenden Sender digital ausstrahlen wollen, mit den alten analogen Empfangsgeräten. Gegen eine Gebühr können sich dann auch neue Anbieter in das digitale Verteilernetz einmieten, deren Programme die Zuschauer mit gebührenpflichtigen Zusatzkarten über die Boxen empfangen können. Nicht in Anspruch nehmen kann man mit den Gratisgeräten allerdings die neuen interaktiven Dienste. Wer solch zusätzliche Möglichkeiten des digitalen Fernsehzeitalters nutzen will, muss selbst einige hundert Euro in die marktgängigen Boxen investieren.

Dass Norwegen sich den Luxus erlaubt, das langgestreckte Land mit einem zu 100 Prozent deckenden mastgebundenen Digitalnetz zu überziehen, obwohl schon jetzt fast die Hälfte aller Haushalte Zugang zu Kabel- und weitere 25 Prozent zu Satellitfernsehen haben, hält NTV-Chef Tor Fuglevik nicht für hinausgeworfenes Geld. Ein vollständig ausgebautes Bodennetz hält er schon deshalb für erforderlich, um zukünftig auch mobilen TV-Genuss möglich machen zu können – etwa im Auto. Das geht nicht über Satellit oder Kabel.

Ab dem kommenden Jahr sollen die elf Fernsehregionen, in welche das Land eingeteilt ist, nacheinander auf digital umgestellt werden. Damit man genügend Zeit hat, sich in die Gebrauchsanweisung einzulesen und die Kabel in die richtigen Buchsen zu stecken, aber auch um technische Probleme und solche der Sendereichweite rechtzeitig entdecken zu können, wird das Analognetz jeweils etwa ein halbes Jahr noch parallel weiterbetrieben. Norwegen ist damit auf dem besten Wege, sich als erstes europäisches Land vollständig aufs Digitalzeitalter umzustellen. REINHARD WOLFF