Verlassen zwischen den Fronten

Im Nordwesten Kolumbiens kommt es zu schweren Gefechten zwischen Guerilla und Paramilitär. Bei der Explosion in einer Kirche sterben mindestens 108 Menschen, etwa 100 werden verletzt. Die bewaffneten Kräfte behindern die Hilfe

aus Bogotá INGO MALCHER

Noch nicht einmal die Toten seien bislang begraben, meldete sich der Priester per Funkgerät. Man habe sie nur mit weißen Tüchern bedeckt und hoffe, in den nächsten Tagen ein Sammelgrab ausheben zu können. Der verzweifelte Hilferuf kam aus der Dschungelregion Chocó im Nordwesten Kolumbiens, wo seit letztem Mittwoch heftige Gefechte zwischen den linksgerichteten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) und der rechten paramilitärischen Gruppe AUC toben. Dabei sollen rund 100 Zivilisten getötet, mindestens ebenso viele verletzt worden sein, darunter viele Kinder.

Die meisten kamen nach Behördenangaben ums Leben, als am Donnerstag ein mit Sprengstoff gespickter Gaszylinder in einer Kirche der Ortschaft Bojayá explodierte. Er war von Truppen der Farc abgefeuert worden. Hunderte Menschen aus der umkämpften Region hatten in und vor der Kirche Zuflucht gesucht.

Bislang haben die Behörden 108 Tote und 105 Verletze gezählt. Die medizinische Versorgung ist schlecht, die wenigen Ärzte überfordert. Schwerverletzte können nicht behandelt werden, da es kein Krankenhaus gibt. Medikamente und Verbandsmaterial reichen nicht aus. Von den Verletzten konnten am Samstag nur 18 ausgeflogen werden, da sowohl Farc als auch AUC den Rettungshubschraubern nur zwei Stunden lang die Landung gestatteten. Auch die Lebensmittel werden langsam knapp.

Bojayá liegt an der Grenze der im Westen des Landes gelegenen Provinzen Chocó und Antioquia. Die Orte sind das Tor zur Bergbau- und Landwirtschaftsregion Urabá, außerdem gelten sie als das Zentrum des Waffen- und Drogenschmuggels. Deswegen machen sich seit 20 Jahren Farc und paramilitärische Gruppierungen die Vorherrschaft in der Gegend streitig, die wegen ihrer Verbindungsstraße nach Panama für den Drogenhandel strategisch wichtig ist. Vor zwei Wochen begann der erneute Kampf zwischen rund 600 paramilitärischen Soldaten und etwa 800 Guerilleros. Die Zivilbevölkerung steht zwischen allen Fronten, keine der kämpfenden Truppen nimmt auf sie Rücksicht.