Grüner Jubel für Schwarz-Gelb

Parteichefin Roth feiert den Fußballmeister Dortmund, obwohl sie eigentlich für Leverkusen war. Hauptsache, der Sieger kommt nicht aus Bayern

aus Wiesbaden JENS KÖNIG

Als Ewerthon im Westfalenstadion das 2:1 für Borussia Dortmund schoss, da gab es auf dem Grünen-Parteitag in Wiesbaden den ersten großen Eklat. Claudia Roth, die Parteivorsitzende, sprang vor Freude in die Luft. Fritz Kuhn, der andere Parteichef, blieb mit versteinertem Gesicht auf seinem Stuhl sitzen. Bayern München war plötzlich raus dem Titelrennen. Kuhn konnte es nicht fassen. Er hatte mit mindestens der Hälfte aller grünen Parteimitglieder gewettet, dass Bayern, sein Lieblingsverein, Meister wird.

Wer nur ein bisschen was von Fußball versteht, dem war in diesem Moment klar: Dieses eine Tor hatte in der grünen Parteiführung Gräben gerissen, die nie wieder zuzuschütten sein werden. Jedenfalls nicht in den nächsten hundert Jahren.

Der Eklat war in dieser, aber auch in jeder anderen Hinsicht bemerkenswert. Er wurde geradezu lustvoll inszeniert. Die Grünen, die in ihrem Wahlprogramm den Frauen soeben die Hälfte der Macht versprochen hatten, unterbrachen für das Männer-Vergnügen Fußball eigens den Parteitag. Roth und Kuhn rückten ihre Stühle vor die große Leinwand und machten es sich zum Finale der Bundesliga gemütlich.

Der Eklat war auch deswegen ein besonderer, weil er eigentlich nicht zu verstehen ist. Roths schwäbisches Herz schlägt zwar für Dortmunds Torhüter Jens Lehmann, aber ansonsten für die gemütlichen Sportfreunde vom SSV Ulm. Da sie jedoch für weltweite Gerechtigkeit ist, schrieb sie vor dem letzten Spieltag dem Leverkusen-Manager Reiner Calmund einen Brief – und wünschte ihm die Meisterschaft.

Am Ende ging es ihr dann aber nur noch darum, einen Sieg von Bayern München – hallo, Edmund Stoiber! – zu verhindern. In dieser frauenspezifischen Fußballlogik war Roth sicherlich auch entgangen, dass sie mit Dortmund einen Sieg für Schwarz-Gelb bejubelte. Daran könnte sie sich am 22. September noch schmerzhaft erinnern.

Der Fußballeklat zwischen Roth und Kuhn war allerdings der einzige grüne Streit, der an diesem Wochenende seismografisch zu registrieren war. Konstant 7 Prozent in den Umfragen, innere Geschlossenheit wie nie, wachsendes Selbstbewusstsein – die Grünen wollten mit der geräuschlosen Verabschiedung ihres Wahlprogramms in Wiesbaden nur eines zeigen: Wir sind professionell vorbereitet, um weitere vier Jahre zu regieren.

Also hat die Partei die acht Kernforderungen ihres Programms in die mediengerechte Formel „8 für 8“ verpackt (siehe Kasten). Mehr als 8 Prozent sind ihr Ziel bei der Bundestagswahl im September. Strittige Punkte des Wahlprogramms wurden durch die Antragskommission noch in der Nacht vor dem Parteitag kleingearbeitet oder kurzerhand einfach übernommen.

So mancher Parteilinke nahm bei seiner Ankunft in Wiesbaden verwundert zur Kenntnis, dass seine Streitlust gar nicht mehr gefragt war: Globalisierungskritische Aussagen waren ebenso ins Wahlprogramm aufgenommen worden wie der Anspruch, mit der sozialen Grundsicherung nicht den Haushalt zu sanieren, sondern der Armut entgegenzuwirken.

Vorsichtig sind die Grünen auch bei einem anderen Punkt geblieben. Sie wollen die Ökosteuer fortführen, vermeiden aber jede konkrete Aussage, um wie viel Cent pro Jahr das ab 2004 passieren soll. Magdeburg lässt grüßen, als die Partei auf ihrem Wahlparteitag vor vier Jahren die Republik mit einem Benzinpreis von vier Mark pro Liter beglücken wollte.

Selbst zu ihrem geliebt-gehassten Guru Joschka Fischer waren die Delegierten freundlich und nett. Fischer war das unheimlich: Er forderte seine Partei auf, ihn wenigstens einmal auszubuhen – damit er sich bei den Grünen noch zu Hause fühlen kann.

Als Belohnung für diese Selbstdisziplin gönnte sich die Partei ein Vergnügen, das ihr in den vergangenen Wochen außerordentliche Befriedigung verschafft hat: Sie prügelte auf Stoiber und Westerwelle ein. Roth erkannte in der Frauen- und Familienpolitik der Union „fast schon eine Kriegserklärung“. Künast warf Stoiber vor, zu einer „Agrarpolitik der dicken Männer“ zurückzuwollen. Und Trittin verspottete die FDP als „Spaß- und Gaga-Partei“.

Da die Grünen einmal in Fahrt waren, bekamen sogar die Sozialdemokraten ihr Fett weg. Dabei weiß die grüne Partei, dass sie ohne die SPD im September gar nichts kann – außer wieder in die Opposition zu gehen. Kuhn warf der SPD vor, bei Reformen auf dem Arbeitsmarkt im letzten Jahr gebremst zu haben.

Bei Trittin war das Selbstbewusstsein schon wieder so groß, dass er sich gegenüber dem Koalitionspartner sogar etwas Häme leistete. Die SPD sei manchmal ängstlich wie das Rotkäppchen im Wald. „Aber keine Sorge“, so Trittin, „es gibt Rettung für das Rotkäppchen. Die Rettung ist grün – grün wie des Jägers Jacke.“

Da hatte der Umweltminister allerdings eines vergessen: Der Jäger konnte Rotkäppchen erst retten, als der schwarze Wolf es bereits gefressen hatte.