„Ein bisschen mehr Randale und Straße“

 ■ Balsam für die Kultur-Seele an der Küste: Udo‘s Revue „Atlantic Affairs“ hat Weltpremiere in Bremerhaven

Der alte Mann, das Meer und der Schlapphut. Schattenbild reicht, wie bei James Bond. Wenn mit der Silhouette alles gesagt ist, dann muss es sich um eine Marke handeln. Eine, mit einem einfachen Namen: „Udo“ sagen sie alle, gestern zum Beispiel in Bremerhaven: „Udo kommt nachher auch noch zum Empfang. „Udo ist eine Marke, die nach Kumpel klingt. Und den Star verkauft.

Da ist es natürlich nur schlau und logisch, das neue Großprojekt in der Kleinstadt nebenan zu starten. Weltpremiere in Bremerhaven, im heimelig-intimen Stadttheater - Udo zum Anfassen. Außerdem auf der Bühne: Tim Fischer, die Prinzen, das Panikorchester und Otto Sander. Außerdem das Versprechen: Bremerhaven, Berlin, Sao Paulo, Tokyo. Das ist Balsam für die Kultur-Seele an der Küste, da jubeln die Marketingabteilungen. Die Liste der Sponsoren ist lang.

Das alles, weil sich Udo einen neuen Dreh für einen alten Hut ausgedacht hat: Lindenberg singt Songs von Hollaender, Weill und Eisler wie schon 1988 auf der LP „Hermine“. Nur, dass er diesmal das Panikorchester dabei hat und den Stücken „ein bisschen mehr Randale und Straße“ verordnet - Chanson jetzt mit verzerrter E-Gitarre. Verkauft mit dem Modernisierer-Gestus rebellischer Rock`n`Roller.

Hört sich peinlich an, ist aber entschärft durch Fiktionalisierung, durch eine Rahmenhandlung, die Udo erlaubt, sich selbst zu spielen. Otto Sander als Chefstuart erzählt die Vorgeschichte: Udo hat in New York zwanzig Koffer geerbt, Koffer von deutschen Musikern, die vor den Nazis in die USA geflohen sind. Die Bühne ist das Deck des Dampfers, Udo befindet sich auf der Rückfahrt. Er öffnet Koffer für Koffer, spielt die Songs und holt sie dahin zurück, wo viele ihrer Urheber aufgebrochen sind - rund 7 Millionen Menschen verließen Deutschland zwischen 1850 und 1950 von Bremerhaven aus. Die größte Emigrantenwelle gab es zwischen 1933 und 1941.

Die Requisiten beschränken sich auf eine Bar, an der Chefstuart Sander recht dokorativ rumsteht und eine Gaze-Wand für Videoprojektionen. Über die Videoleinwand huscht mal ein historisch durchtränkter Bildermix, mal ist da einfach nur ein Standbild, Ozean bei Flaute. Links und rechts von der Bühne funkelt ein Sternenhimmel. Den größten Raum nimmt hier die Band ein und die macht auch am meisten Wind: Sie dürfen sich in rauchfreier Luft gebärden wie zu ihren besten Zeiten, tragen Sonnenbrillen und haben exquisiten Sound. Dazu konzentrieren sie sich wie Hölle: Radio Bremen filmt. „Atlantic Affairs“ soll nicht nur eine Revue sein, sondern auch ein ARD-Film werden.

Was die Band aus Songs wie „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre“, „Finstere Zeiten“ oder „Ich hab noch einen Koffer für Berlin“ macht, das ist nicht weiter aufregend. Denn um wen es hier geht, das sind die Sänger. Tim Fischer ist übernimmt die ruhigen Songs, schafft angenehmen Ausgleich zum Dröhnen der Band. Zwei Acapella Songs auch für die Prinzen - den Rest macht Udo zusammen mit dann doch drei Sängerinnen. Nathalie Dorra hat Lindenberg sonst auch immer als Duettpartnerin dabei, Yvonne Catterfeld hat sich in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ profiliert und Ellen ten Damme gibt die Vitalitätsbombe aus der Ecke Raubtier. Alle drei sind sie in jeder Hinsicht Gegenparts zu Udo: Alle drei sind jung und sehen gut aus. Und vor allem: Alle drei können singen - der Gegensatz zu Udo wird hinlänglich provoziert durch ausgiebigen Satzgesang. Udo immer einen Viertelton falsch, daneben Perfektion - so werden Marken erkennbar.

Klaus Irler