... und raus bist du!
: taz-Debatte: „Berlin nach Pisa“ (Teil 5)

Von Barbara Schmitt-Wenkebach: Erzieherausbildung reformieren

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz. Letzte Woche schrieb Erhard Laube, Leiter der Spreewald-Grundschule in Schöneberg. Nächste Woche: Havva Engin: Altersgemäße Sprachförderung – Fehlanzeige.

Die Tageseinrichtung für Kinder, wie Kitas gesetzlich korrekt genannt werden, wird in der Bundesrepublik immer in Abhängigkeit zu den real existierenden erzieherischen Möglichkeiten der Familie definiert. In Berlin wird das besonders klar: Die Zeit, die ein Kind in einer Kita verbringen kann, wird vom Jugendamt und nicht von den Eltern bestimmt. Die Kita ist keine unabhängige öffentliche Bildungseinrichtung wie die Grundschule, sondern eine Einrichtung zur Ergänzung der Familie. Sie ist trotz aller öffentlichen Beteuerungen nicht die erste Stufe des deutschen Bildungssystems – und damit auch nicht in der Lage, Bildungsbenachteiligungen unter den Kindern auszugleichen.

Aber selbst wenn die verantwortlichen Bildungspolitiker hierzulande sich zu einem Bildungskonzept für die Tageseinrichtung für Kinder entschließen würden, wer sollte das erfolgreich umsetzen? Mit den jetzt ausgebildeten Erzieherinnen wird das nicht gehen. Eine Reform dieser Ausbildung ist lange überfällig. Andere Länder sind uns da weit voraus.

Die wissenschaftliche Erkenntnis über die hohe Bildungsfähigkeit gerade der jüngeren Kinder hat unsere europäischen Nachbarn schon vor mindestens einem Jahrzehnt zu einem neuen Bildungskonzept für Kinder unter sechs Jahren bewogen. Auch von der Ausbildung der Erzieherinnen auf niedrigem Niveau ist man hier abgerückt: Sie müssen ein Hochschulstudium absolvieren. Diese Reform hat sich offenbar ausgezahlt, wie die Pisa-Studie zeigt.

Drei Kritikpunkte an der Ausbildung hierzulande sind besonders hervorzuheben: die Zulassungsvoraussetzungen zur Fachschule, die Dauer der Ausbildung, die Qualität des Anerkennungsjahres. Zur Fachschule für Sozialpädagogik muss jede Person mit einem Realschul- oder erweiterten Hauptschulabschluss zugelassen werden. Außer einem Jahr an einer Berufsfachschule gibt es keine weiteren Zulassungs- bzw. Eignungskriterien, auch keine Altersbegrenzung nach unten. Da aber auch Personen mit Abitur oder mit einer Berufsausbildung oder mit Kindern zugelassen werden, ist die Mischung der Klassen sehr vielfältig. Pädagogisch genutzt werden kann das nicht, denn noch immer ist die Ausbildung stark verschult: zwölf verschiedene Fächer die Woche, Klassenarbeiten, mündliche Beteiligung, Versetzungen – all das, was schülerhaftes Verhalten von früher wieder hervorholt und in großem Gegensatz zur notwendigen Persönlichkeitsbildung einer Erzieherin steht.

Die Ausbildungsdauer beträgt zwei vollschulische Jahre mit einem integrierten Praktikum von drei Monaten sowie einem beruflichen Anerkennungsjahr. Die Unterrichtszeit mit 32 Wochenstunden wird inhaltlich durch Rahmenpläne von 1988 bestimmt. Neuere Entwicklungen wie etwa interkulturelle oder besondere ökologische Schwerpunkte finden Berücksichtigung nur zu Lasten anderer Fächer wie zum Beispiel Soziologie oder Psychologie. An das Lernen einer Fremdsprache ist gar nicht zu denken. Die fachpraktische Ausbildung erfolgt in drei Monaten während der Schulzeit und dem Berufspraktikum im Anschluss an die zwei Schuljahre nach bestandener Prüfung. Letzteres wird bislang bezahlt. Von den Reformideen der Berliner Bildungsverwaltung weiß man, dass dieses geändert werden soll: Das Anerkennungsjahr soll in eine dreijährige Ausbildung integriert und nicht mehr bezahlt werden. Durch diese Veränderung würde eine besonders hoch motivierte Gruppe in der jetzigen Erzieherausbildung, die Berufswechsler, nahezu ausgeschlossen: Sie brauchen das Geld.

Die Qualität der fachpraktischen Ausbildung selbst gleicht einer Lotterie. Noch immer gibt es die Vorstellung, allein in der sozialpädagogischen Praxis tätig zu sein, reiche aus. Doch nur wenige Erzieherinnen haben eine Ausbilderausbildung, nur wenige bekommen für die Ausbildung der zukünftigen Kolleginnen eine angemessene Freistellung. Unter europäischen Maßstäben ist der Abschluss der deutschen Erzieherin zwar formell anerkannt, gleichwertig aber ist er nicht. Deshalb ist für Erzieherinnen auch kaum möglich, als Fachkraft im Ausland zu arbeiten. Deutsche Erzieherinnen sind einfach schlechter ausgebildet als ihre europäischen Kolleginnen. Das muss sich endlich ändern. Denn hier liegt der Schlüssel zur Aufwertung der Kita zur Bildungseinrichtung.