Die Jungen Talente sind out

Zu DDR-Zeiten durfte die sozialistische Jugend an der Klosterstraße in Mitte Kreativität üben. Nun streicht ein sozialistischer Kultursenator den artists in residence im heutigen Podewil das Geld

von HENNING KRAUDZUN

Wer heutzutage in Berlin an der öffentlichen Kultur sparen will, muss wie ein Meteorologe die Tiefs erahnen können. Braust ein Sturm der Empörung auf, wird es für längere Zeit ungemütlich. Weht nur ein laues Lüftchen, hat man es richtig gemacht. Indes, dieses Gespür wird auch in Zukunft selten ein Kulturpolitiker besitzen, denn die unbehaglichen Winde flauen kaum noch ab. Besonders stürmisch wird es für Kultursenator Thomas Flierl (PDS), wenn er auf etablierte und international vernetzte Kunsteinrichtungen wie das Podewil in der Klosterstraße in Mitte nach dem Prinzip „Mal sehen wie du reagierst“ mit dem Daumen nach unten zeigt.

Historisch betrachtet hat Flierl sogar recht, wenn er im Podewilschen Palais mit dem Museumspädagogischen Dienst wieder die Verwaltung unterbringen will. Denn in der dreihundertjährigen Geschichte des Hauses – benannt nach Graf Heinrich von Podewil, einem Kriegs- und Etatminister unter Preußenkönig Friedrich II., der das Haus um 1730 gekauft hatte – wurde fast immer Behördenarbeit geleistet, außer in den letzten fünfzig Jahren. Doch die haben nun einmal den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand von der barocken Opulenz des Palais nur noch die Fassade. Der Magistrat Ostberlins ließ es als Renommierobjekt wieder aufbauen und übergab es 1954 an die Jugend. Die, selbstverpflichtet unter dem Banner der Freien Deutschen Jugend, sollte dort forschen, basteln, singen und feiern. Das Palais hieß fortan Haus der Jungen Talente (HdJT).

Rührselige Begegnungen zwischen Ost und West fanden hier statt. Es wurde international gejazzt und gerockt, nicht nur zum Festival des politischen Liedes, sondern auch schon mal außer der Reihe. Musik schlug Brücken über Systemmauern. Kultur traf auf Volkskunst, politisch motivierte Jugend auf Nischenaktivisten mit der nötigen Freiheit im Kopf. Davon sind nur noch Spuren übrig. Der „Omnibus“-Chor ist eine davon. Zu DDR-Zeiten schmetterten die „Omnibusse“ heimatverbundene Pionierlieder, nahmen zwei Schallplatten auf und begeisterten die Fernsehzuschauer. Nach der Wende legten sie die Pioniertücher ab – und sangen weiter. Andere Begebenheiten sind nur noch Episode: So studierte die junge Nina Hagen in einem Mädchenkurs erste Tanzschritte.

Als sich nach dem Fall der Mauer auch die FDJ verabschiedete, habe sich im HdJT noch einmal „ein großer kultureller Boom ereignet“, sagt Gabriele Miketta, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Podewils kümmert. Sie war in den Jahren zuvor aus der Ostberliner Peripherie mehrmals in der Woche ins HdJT gefahren, zum Montagsjazz oder zur großen Samstagsfete, wenn Nachtschwärmer zu Ostrock mit westlichen Musikeinschüben tanzten. Dieses Publikum habe das Haus nach dem Herbst 89 halten können, sagt Miketta. Auch die neue Jugend zog nach: So organisierte der Techno-DJ Wolle XDP hier die ersten großen Hauptstadt-Raves.

Doch der Senat, dem das Haus übertragen wurde, sah in dem DDR-Relikt vor allem eine für die Verwaltung geeignete Immobilie. Kurz nach der endgültigen Schließung des HdJT sollte aus dem Palais ein Bürogebäude werden. Es hagelte Proteste aus beiden Teilen Berlins, man kämpfte um eine entideologisierte Heimstätte der Jungen Talente. Letztendlich setzte sich der damalige Kultursenator Ulrich Roloff- Mommin für den Erhalt ein. Hier sollten experimentelle Künste etabliert und so eine Lücke in der Stadt geschlossen werden.

Beworben hatten sich viele um den neuen alten Kulturort. Im Rennen blieben die ehemaligen Funktionäre und die zuvor gegründete Kulturveranstaltungs-GmbH. Die landeseigene Gesellschaft bekam den Zuschlag und baute ab 1992 ein Zentrum für aktuelle Künste auf. Monatelang wurde um den Namen gestritten, aus ostdeutscher Sicht sollte es wieder HdJT heißen, im Westen wollte man ein neues Kapitel. „Dann hieß es einfach ‚Podewil‘. Ein nicht vordefinierter Name, der aber gleichzeitig die Geschichte spiegelt“, sagt Miketta. Und die Jungen Talente heißen nun zeitgemäßer artists in residence.

Kurz vor dem zehnjährigen Jubiläum kommen nun die Begehrlichkeiten des Senats wieder hoch. Aus den Werkstätten der Künstler sollen Büros werden. Seit fünf Jahren können sie dort proben und arbeiten, ohne horrende Mieten zahlen zu müssen. Die Infrastruktur war Nährboden für neuartige Prozesse, die Musik, Theater, Tanz und neue Medien ineinander wirbeln.

Ein künstlerisches Programm wird ausgehöhlt, das mit Theater- und Medienfestivals wie „Reich & Berühmt“ und der „Transmediale“ regelmäßig internationale Zeichen setzt. Vom Podewil gehen Impulse auf die gesamte Stadt aus, vor allem für die freie Theaterszene. Die Berliner Kulturveranstaltungs-GmbH (BKV), Träger des Podewil, soll 215.000 Euro zusammenstreichen – ein Drittel der ursprünglich geplanten Sparsumme. Aber es wird vor allem das Podewil treffen. „Für Veranstaltungen bleibt fast nichts übrig“, klagt Miketta. Den Künstlern habe der Kultursenat einen Plattenbau an der Prenzlauer Allee angeboten. Eine Agonie des Schicksals.

Das Programm artists in residence sei mehr im Zusammenhang der gesamten Stadt zu sehen, referierte Kultursenator Thomas Flierl (PDS) kürzlich. Will heißen: Ein Haus der Jungen Talente ist out, die Künstler sollen sich lieber in Berlin verteilen, damit keine größere Gruppe um Förderung buhlt. Keine gute Zukunft für die kreative Jugend, schon gar nicht im Podewil’schen Palais. Sie können nur noch auf einen weiteren Sturm der Öffentlichkeit hoffen.