BIRMAS JUNTA LÄSST DIE FRIEDENSNOBELPREISTRÄGERIN SUU KYI FREI
: 2002 ist nicht mehr 1995

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stehe Birma jetzt wieder genau dort, wo es 1995 schon einmal stand. Damals wurde die charismatische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen – nach sechs langen Jahren. Doch jetzt ist nicht nur der Hausarrest mit knapp zwanzig Monaten wesentlich kürzer gewesen. Auch die Lage ist heute eine andere – in Birma und international.

Die Fronten zwischen Junta und Demokratiebewegung waren völlig erstarrt, bis im Oktober 2000 unter UN-Vermittlung ein geheimer Dialog zwischen den Generälen und Suu Kyi begann. Gleichzeitig mit dieser innenpolitischen Annäherung gingen die Sanktionen des Westens weiter, während die südostasiatischen Asean-Staaten eine gegenläufige Strategie wählten: die der Integration. Denn während es sich der Westen leisten konnte, das im Vergleich zu China schwache und wirtschaftlich uninteressante Birma zu sanktionieren, fürchteten die Anrainer dessen Kollaps – und einen zu starken Einfluss der Chinesen am Indischen Ozean.

Beide Seiten wurden mit ihrer jeweiligen Strategie nicht glücklich: die Westler nicht, weil die Generäle nicht nachgaben, die Südostasiaten nicht, weil ein Wandel ausblieb. Und noch eine dritte Einflussgruppe scheiterte. 1995 konnten japanische Konzerne hinter den Kulissen Investitionen versprechen, wenn dafür Suu Kyi freigelassen würde. Doch heute will in dem inzwischen völlig heruntergewirtschafteten Land niemand mehr Fabriken bauen, und ohnehin hat die Region ihre wirtschaftliche Dynamik eingebüßt.

Heute ist die Lage in Birma so desolat, dass auch die Generäle ihre Zukunft in Gefahr sehen. Zugleich macht das Leid auch Suu Kyis Opposition kompromissbereiter. Gerade diese Mischung aus Sanktionen, Annäherung und Krise hat die Generäle flexibler gemacht. Ihren Ankündigungen zufolge geht die Junta jetzt weiter als 1995, als der Hausarrest nur unter Auflagen aufgehoben wurde.

Auch wenn die jetzige Freilassung wirklich bedingungslos erfolgt, ist sie noch keine substanzielle Reform. Vielmehr werden die Generäle nach Belohnungen suchen, ohne weitere Zugeständnisse zu machen. Die Kunst der Opposition und der internationalen Gemeinschaft besteht darin, mit Druck und Anreizen einen echten Wandel zu befördern; das politische Kunststück für die Juntagegner im In- und Ausland besteht vor allem darin, sich nicht gegenseitig in den Arm zu fallen. Die Zeit arbeitet gegen die Generäle. Denn 2002 ist nicht mehr 1995. SVEN HANSEN