Mit Polonäsen und Sprechchören

Streik in der Metallindustrie in Baden-Württemberg hat begonnen. Viele Metaller blieben einfach zu Hause. Arbeitgeber: In dieser Woche gibt es keine Tarifverhandlungen mehr. Wirtschaftsweiser Bert Rürup: Streik ist keine Gefahr für die Konjunktur

BERLIN ap/dpa/rtr/taz ■ „Dieser Betrieb wird bestreikt“ verkündet das Spruchband am Mercedes-Benz-Werktor in Sindelfingen. Dort hat der Arbeitskampf in der Metallindustrie in der Nacht zu Montag begonnen, bis heute früh sollten insgesamt 32.000 Beschäftigte in den Ausstand treten.

Mit heißem Kaffee, Polonäsen und Sprechchören kämpfen die Streikposten und ein tapferes Häuflein Sympathisanten am Morgen gegen die Kälte. Kein dramatischer Stoff für die ausländischen Fernsehsender, die auf Protestmärsche gehofft hatten. Bei diesem Streik sind die meisten Metaller einfach zu Hause geblieben.

Brezeln und Gitarrenklänge sorgen währenddessen wenige Kilometer entfernt bei Porsche für gute Laune. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel hat sich die weltweit bekannte PS-Schmiede für seinen Auftritt ausgesucht.

Bei Mercedes-Benz und Porsche läuft an diesem Tag in Baden-Württemberg kein Neuwagen vom Band. Eine beachtliche Bilanz: 2.500 Autos mit Stern, 145 Sportwagen aus Zuffenhausen fallen weg. Porsche schätzt den Schaden auf zehn Millionen Euro und hofft, ihn später mit Sonderschichten ausgleichen zu können.

Auch die Formel 1 könnte leiden: In der Motorsport-Sparte des Stuttgarter Zulieferers Mahle, der Kolben für Rennwagen liefert, wird auch gestreikt.

Beim Traktoren-Fabrikanten John Deere in Mannheim ruht die Produktion ebenfalls. „Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich ausschlafen können“, meint Schlosser Christian Haas. In der vergangenen Woche hatte der 21-Jährige noch Urlaub. „Aber ich finde es in Ordnung, dass endlich mal was durchgezogen wird.“ Ab 9 Uhr können sich die Beschäftigten in Streiklisten eintragen lassen. Ohne Registrierung gibt es kein Geld für die Gewerkschaftsmitglieder.

In Sindelfingen trifft am Vormittag eine Delegation von Gewerkschaftsvertretern aus den USA und Kanada ein – ihr Besuch war lange vor dem Streikbeschluss geplant. „Das ist aufregend“, freut sich ein Mitglied der United Automobile Workers of America.

Die Kollegen von Mercedes-Benz haben sich inzwischen ihren eigenen Schlachtruf für den Streik kreiert: „Tschinko Mingo“, eine Fantasieformel mit italienischen Einflüssen, soll für „Geld“ und „Tasche“ stehen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm übt fleißig mit. Seine multikulturelle Belegschaft fordert 6,5 Prozent mehr Lohn.

Bei den Veteranen werden alte Erinnerungen wach. Im Südwesten liegt der letzte Streik 18 Jahre zurück. Damals wurde sieben Wochen am Stück gestreikt – inklusive Dauerregen.

Die neue Streik-Taktik der IG Metall, mit der Aussperrungen verhindert werden sollen, sieht die Würze in der Kürze: Spätestens am heutigen Dienstag ist bei Mercedes-Benz, Porsche und John Deere wieder normaler Alltag angesagt, dann sind andere Betriebe an der Reihe.

Für den 54-Jährigen Gerhard Ruoff ist es schon der vierte Streik. „Erst wird die Stimmung hochgefahren, danach wird sie wieder gedrückt“, beschreibt der Mercedes-Benz-Feinblechner das Problem der neuen Streik-Strategie.

Wirtschaftsexperten sehen den Streik unterdessen gelassen. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller erklärte, der Arbeitskampf bedeute keine Gefahr für den wirtschaftlichen Aufschwung. Das tageweise Bestreiken einzelner Betriebe sei keine Gefährdung. Auch der Wirtschaftsweise Bert Rürup sagte, wenn der Streik auf ein bis zwei Wochen und auf einzelne Betriebe begrenzt bleibe, sei dies „gesamtwirtschaftlich für die Produktion zu vernachlässigen“. Die Konjunktur werde „natürlich nicht abgewürgt“.

Der Verhandlungsführer der Metall-Arbeitgeber in Baden-Württemberg, Otmar Zwiebelhofer, schloss unterdessen eine Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen in dieser Woche aus. Erst müsse sich „der Pulverdampf von den ersten Streiktagen legen“, so Zwiebelhofer. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel erklärte gestern hingegen: „Wir stehen ab sofort für Verhandlungen bereit.“ Die Gewerkschaft, die 6,5 Prozent mehr Lohn fordert, erwartet von den Arbeitgebern, dass diese ein höheres Angebot vorlegen als die zuletzt offerierten 3,3 Prozent. Die Arbeitgeber hatten hingegen die Einsetzung eines Schlichters im Tarifstreit vorgeschlagen. BD