Le Pen rüstet sich zur Revanche

Front National bei der Parlamentswahl nicht ohne Chancen. Absprachen für Stichwahl möglich

PARIS taz ■ Den Sieg in der Präsidentschaftswahl hat Jean-Marie Le Pen verfehlt. Aber die 5.446.987 Stimmen, die er am Sonntag bekam, wertet der 73-Jährige als positives Zeichen. Nicht nur, weil er damit trotz der massiven Kampagne des gesamten republikanischen Frankreichs gegen den Rechtsextremismus seit dem ersten Wahlgang noch eine halbe Million Stimmen dazugewonnen hat. Sondern auch, weil er sich in fast allen Hochburgen der Front National auch im zweiten Wahlgang gut behaupten kann. Während Le Pen auf nationaler Ebene auf seinen harten Kern von 17,79 Prozent der Wähler beschränkt blieb, schaffte er in weiten Teilen des französischen Südens und längs der östlichen Landesgrenzen vielerorts Ergebnisse zwischen 25 und 39 Prozent.

„Wir sehen uns bei den Parlamentswahlen wieder“, kündigte Le Pen seine Revanche an. Das ist eine neue Kriegserklärung an die Adresse von Chirac und den konservativen Parteien, deren „Zerschlagung“ für Le Pen gleich hinter jener der Kommunistischen Partei fungiert. Eine Auswertung des ersten Durchgangs der Präsidentschaftswahlen zeigt, dass die Front National tatsächlich in 237 der insgesamt 577 französischen Wahlkreise hoffen kann, am 9. Juni die nötigen 12,5 Prozent zu bekommen, um an der Stichwahl teilnehmen zu dürfen. Fast überall, wo die Rechtsextremen über 12,5 Prozent kommen, ist mit „Dreiecken“ zu rechnen – mit drei Kandidaten, die dann gegeneinander antreten: ein Linker, ein Rechter und ein Rechtsextremer.

Erfahrungsgemäß begünstigen solche Dreiecke, bei denen sich die Stimmen der rechten Wähler auf zwei Kandidaten verteilen, eher die Linken. Das könnte, sollte die Linke die Parlamentswahlen gewinnen, eine neuerliche Kohabitation für Chirac bedeuten – eine Konstellation, die die Konservativen auf jeden Fall vermeiden wollen. Auch wenn sowohl Le Pen als auch Chirac jede Form der Zusammenarbeit ostentativ ablehnen, ist absehbar, dass vielerorts die konservative und die rechtsextreme Basis in Verhandlungen treten werden. Einzelne Front-National-Mitglieder wie Martine Lehideux boten den Konservativen gestern bereits öffentlich eine Zusammenarbeit an. Im Lager der Konservativen jubilierte Exverteidigungsminister Charles Millon schon zwischen den beiden Touren: „Wir werden viele Stimmen der Rechtsextremen kriegen.“ Wie das geht, hat der Rechtsliberale Million 1998 gezeigt. Da ließ er sich mit den Stimmen der Front National zum Regionalpräsidenten wählen.

Im französischen Parlament war die Front National nur nach den Wahlen von 1986 mit einer starken Gruppe von 35 Abgeordneten vertreten. Damals hatte ihr François Mitterrand mit einer später zurückgenommenen Reform des Wahlrechts die Tür geöffnet. Jetzt hoffen die Rechtsextremen, dass sie an ihren Hochburgen – in Nizza an der Côte d'Azur (28,68 Prozent am Sonntag), in dem provenzalischen Obst- und Gemüsestädtchen Beaucaire (39,18 Prozent), in den rechtsextrem regierten südlichen Städten Vitrolles, Marignane und Orange sowie im Elsaß und im Nordosten wieder eigene Abgeordnete ins Parlament schicken kann. Angesichts des Zuschnitts der französischen Wahlkreise und des Mehrheitswahlrechts ist das nicht einfach. Aber ausschließen mag niemand, dass es in der künftigen Nationalversammlung auch Rechtsextreme geben wird. DOROTHEA HAHN