Die neuen Fronten sind die alten

Republikaner für Chirac: Frankreich hat einen 82-Prozent-Präsidenten. Doch fürs Parlament steht wieder links, rechts und rechtsextrem zur Wahl

aus Paris DOROTHEA HAHN

Noch während Jacques Chirac am Sonntagabend den in dieser Höhe in der französischen Geschichte nie dagewesenen Sieg in der Präsidentschaftswahl mit einer Grußrede an die ganze Nation auf der Place de la République feierte, versammelten sich seine Wähler wider Willen von der Linken auf der benachbarten Place de la Bastille, um sich für die nächste Schlacht Mut zu machen. Schon am 9. und am 16. Juni wird ein neues Parlament gewählt. Dann werden die Verbündeten der vergangenen Tage wieder gegeneinander antreten. Und erneut gegen die Rechtsextremen.

Die französischen Rechten wollen versuchen, in der erst vor zwei Wochen gegründeten Sammlungsbewegung UMP (Union für eine präsidentielle Mehrheit) ihre inneren Streitigkeiten zu überwinden, um nach fünf Jahren Opposition in der Nationalversammlung wieder eine Mehrheit und die künftige Regierung zu stellen. Die gestern eingesetzte Übergangsregierung unter Jean-Pierre Raffarin (siehe unten) soll ihr den Weg an die parlamentarische Macht ebnen. Auf der anderen Seite wollen die rot-rosa-grünen Linken versuchen, erneut gemeinsame Kandidaturen für die Nationalversammlung zusammenzuschustern. Die Verhandlungen über deren Zusammensetzung liefen gestern Nachmittag auf Hochtouren.

Der große republikanische Elan gegen den Rechtsextremismus, der in den vergangenen Wochen mehrere Millionen Franzosen auf die Straße getrieben und alle Institutionen sowie sämtliche Medien Frankreichs mobilisiert hatte, endete gestern in einem „Ouf!“ der Erleichterung. So stand es auf der Titelseite der Tageszeitung Libération. Die kommunistische Humanité ging einen Schritt weiter. Neben einem kleinen Foto des neuen alten Präsidenten Chirac titelte das Blatt: „Frankreich hat den Hass zurückgewiesen. Lasst es uns nicht dabei belassen.“

Die Voraussetzungen für eine linke Union sind denkbar ungünstig. Die Zeit ist knapp. Die beiden bisherigen Hauptkräfte der gestern abgetretenen rot-rosa-grünen Regierung sind noch durch ihre historischen Niederlagen verunsichert. Premierminister Lionel Jospin ist am Einzug in die Stichwahl gescheitert. Und der Kandidat der KPF hat mit nur 3,4 Prozent das schlechteste Wahlergebnis der Geschichte des französischen Kommunismus eingefahren. Die einzige Formation der Regierungslinken, die stolz auf ihr Wahlergebnis ist, sind die Grünen. Ihr Kandidat Noël Mamère hat erstmals die 5-Prozent-Hürde genommen. Doch auch die Grünen, die 1997 nur dank einer gemeinsamen Liste mit der PS den Einzug in das Parlament geschafft haben, wissen, dass sie auch dieses Mal allein kaum eine Chance haben, Abgeordnete in das Parlament zu schicken.

Hinzu kommt das unberechenbare Verhalten jener über 10 Prozent der Franzosen, die ihre Stimmen an Trotzkisten gegeben haben. Es war die bislang deutlichste Kritik an der sozialliberalen Politik der rot-rosa-grünen Regierung. Der Führungsanspruch der PS, den Parteichef François Hollande seit Sonntag betont, muss zwischen den geschlagenen Linken neu verhandelt werden. Auch an der Basis der PS verlangen viele jetzt nach einer Linkswende ihrer Partei.

Die Ergebnisse dieser Präsidentschaftswahl sind vor allem paradox. Der neue Staatspräsdient erreichte zwar mit 82,21 Prozent der Wählerstimmen einen Rekord, aber im ersten Wahlgang, als es tatsächlich darum ging, über politische Programme zu entscheiden, schaffte er nicht einmal 20 Prozent. Ein weiteres Paradox ist, dass sich nun bei den Parlamentswahlen die PS erneut um die Rolle der stärksten Partei und den Einzug in die künftige Regierung bemüht, obschon ihr Präsidentschaftskandidat nur 16 Prozent bekam.

Paradox ist schließlich auch, dass sich Frankreich, wo in den vergangenen Wochen vielfach von einem Ende des „Rechts-links-Schemas“ die Rede war, nun mitten in einem ideologischen Kampf befindet. Die Fronten heißen: links, rechts und rechtsextrem. Hat da jemand von einem Ende der Ideologien gesprochen?