Hin- und wieder zurückgeträumt

Schlichte Geschichten von Wendepunkten und Neuanfängen in scheinbar aussichtslosen Leben: Jungregisseur Dieter Beyer inszeniert derzeit „Durstige Vögel“ des in Graz geborenen Nachwuchsautors Kristo Sagor im Altonaer Theater

Manche Abschiede im Leben wiederholen sich. Zumindest bei Gundula ist das so. Die Heldin aus Kristo Sagors Theaterstück Durstige Vögel steht erneut am Flughafen – und wieder an einem Scheidepunkt. Vor einem Jahr erst hat sie hier den Sarg mit ihrem toten Vater in Empfang genommen. Diesmal hat sie sich von einer Liebe, Peter, verabschiedet, die ihr unmöglich schien.

Und in diesem Moment beginnt sie ihr Leben zu reflektieren, aus dem sie sich lange weggeträumt hatte. Rosig sieht es da nicht gerade aus:Vater und Liebhaber sind weg, die Mutter liegt im Krankenhaus. Das Gegenwärtige der Figur ist es, was den jungen Regisseur Dieter Beyer interessiert. Derzeit richtet er das Stück in Hamburger Erstaufführung auf der Foyerbühne des Altonaer Theaters ein. Beyer ist einer, der Geschichten für Menschen von heute erzählen will.

Lange trieb sich der 1969 in Graz geborene Beyer in der Freien Grazer Szene herum, baute das Theater im Bahnhof auf und landete schließlich als Assistent für drei Jahre bei Bürgerschreck Claus Peymann am Wiener Burgtheater. Hier traf er auch Vorbilder wie Martin Kusej. Erste eigene Inszenierungen folgten, zuletzt im vergangenen Jahr Marius von Mayenburgs Parasiten im Burgtheater Vestibül. Dort entdeckte ihn auch Axel Schneider, Intendant des Altonaer Theaters und verpflichtete ihn für eine Inszenierung nach Hamburg.

An Durstige Vögel reizte Beyer schon der „knackige Titel“. Der Vogel und der Flieger – Synonyme für die unausgelebten Sehnsüchte der Menschen. Der erst 25jährige Berliner Autor wurde beim Heidelberger Stückemarkt entdeckt, Durstige Vögel im Jahr 2000 am Schauspielhaus Bochum uraufgeführt. In einer sehr klaren, direkten Sprache erzählt er darin von Gundula, die nach dem neuerlichen Abschied allein in der Welt steht. Am Flughafen. „Abschied zu nehmen heißt auch immer ein Stück erwachsener zu werden“, erzählt Regisseur Beyer.

Mit unsagbarem Lebensmut stellt sich Gundula in dem Stück gegen größte Widerstände. Darin zeigt sich ihre Stärke. Sie trifft zum Beispiel den Obdachlosen Tomasz. Eine Art Überlebenskünstler, der versucht, sein aus dem Ruder laufendes Leben mittels populärwissenschaftlichen Geschwätzes wieder in den Griff zu bekommen. Und sie trifft B., einen Ex-Junkie, der sie zu einer Art von Liebe überredet. „Trotz aller erlebten Verletztheit, entscheidet sie sich, verletzlich zu bleiben“, erklärt Beyer.

Ein Sozialdrama will er aus dem Stoff nicht machen. Kein sentimentales Rührstück und erst recht kein pädagogisches Theater. Vielmehr richtet er den Fokus auf den Menschen. Und damit auf gestrandete Existenzen, die etwas durchleben, was uns an sie bindet. Beyer bezeichnet sich selbst als Schauspielregisseur, ihn interessieren die Menschen, mit denen er arbeitet. Und da ist er mit seinem Ensemble am Altonaer Theater hochzufrieden. „Alle arbeiten sehr körperlich und mit hohem emotionalen Einsatz“, so Beyer. „Damit kann ich in verborgene Bereiche vordringen, eine sehr intime Nähe herstellen.“

Die ergibt sich schon durch die Räumlichkeiten, denn die Foyerbühne lässt zur Distanznahme des Zuschauers nicht viel Platz. Beyer setzt auf sparsame Effekte. Scott Ritter errichtet dazu einen recht neutralen Raum, der nur von den Videos der Wiener Künstlerin Barbara Katzelmayer durchbrochen wird. Sicher, es ist kein großer dramatischer Konflikt, der hier aufgelöst wird, vielmehr ein kleines Stückchen ohne genauen Anfang und Ende. Auch hat Sagor nicht die Sprachgewalt anderer Zeitgenossen. Aber in seiner Schlichtheit stößt er uns auf einen Ausschnitt unserer Welt.

Annette Stiekele

Premiere: Mittwoch, 15. Mai, 20 Uhr, Altonaer Theater