Masturbationsgeste

Selbstbefriedigung durch einen Handtaschenkauf: Am Wochenende ging es an der Universität Hamburg um „Mode-Kunst, Mode-Lust, Mode-Zeit“

von BRIGITTE WERNEBURG

Endlich, möchte man sagen, ist der Griff in den Schritt, den Madonna in concert schon vor reichlich zehn Jahren per Großbildschirmprojektion in aller Welt ausstellte, im Anzeigenteil der Modezeitschriften angekommen. Hier steht nun die Masturbationsgeste – pars pro toto – für die zuletzt erfolgte, eindeutig pornografische Aufladung der Modefotografie. Manchmal, so zeigte Martine Reid, Literaturwissenschaftlerin aus Paris, muss es aber gar nicht die Hand sein, die zwischen den gespreizten Beinen ruht: Die Handtasche von Dolce & Gabana tut es auch. Sie tut es vielleicht noch besser: Schließlich ist hier die Sache, um die es wirklich geht und die für teures Geld erworben werden will, prominent ins Bild gerückt.

Martine Reids Vortrag über diese sexuelle Auf- und Hochrüstung der Luxusgüterwerbung im Bereich der Mode durfte dem mittleren Part des Symposiums „Mode-Kunst, Mode-Lust, Mode-Zeit“ zugerechnet werden, das am Wochenende an der Universität Hamburg stattfand – durchaus mit Bezug auf „reality check“, die zweite Triennale der Fotografie Hamburg und die Ausstellung „The Archeology of Elegance“ in den Deichtorhallen. Allein Reid wollte Lust, weibliche Lust zumal, in dieser Art der Werbung nicht erkennen. Für sie ging es in den Szenarien mit lesbischen Gespielinnen und den Arrangements von Gruppensex einmal mehr um Männerfantasien. Das allerdings war nicht die Ebene, auf der das Phänomen Mode während des Symposiums verhandelt wurde. Schon das Wissen, dass der angeberische Griff in den Schritt von den Männern geklaut ist, hätte die Vortragende eines Besseren belehren müssen, so offensichtlich wird hier mit Übertreibung, Verschiebung, uneigentlichem Sprechen, also mit den Mitteln der Rhetorik gearbeitet. Mittel, die, wie die Initiatorin der Veranstaltung, die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, in ihren einleitenden Bemerkungen sagte, ja die eigentlichen der Mode sind. Männlicher Autorität jedenfalls, wie sie ihren Ausdruck auch in den Männerfantasien findet, gehorcht die moderne Mode nicht.

Selbst ein simples Ding wie die Falte belegt diesen Befund. Gabriele Brandstetter, Leiterin des Deutschen Seminars an der Universität Basel, sah in ihren Ausführungen zu den Plisseefalten, wie sie Mariano Fortuny zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte und wie sie aktuell Issey Miyake gebraucht, ein neues Paradigma am Werk. Anstelle von Expression herrscht nun Information. Anders als bei Aby Warburg, für den der Faltenwurf der antiken Kunst gestischer Ausdruck leibgebundener Erfahrung, also Pathosformel war, wird der Körper im Faltenwurf Miyakes schlicht negiert. Und das gilt ebenso, trotz aller hellenistischen Anklänge, für Fortuny. Die Falte bei Fortuny und Miyake ist Technik, nicht Ausdruck; sie ist Passage, nicht Tiefe. Die Falte ist ein Oberflächenphänomen, sie bringt den Stoff in Form und baut ihn um, sie informiert das Tuch, von dem Leonardo anlässlich einer Faltenstudie sagte, dass es gerne „glatt bleiben möchte“. Ihr Referenzsystem ist nicht der Körper, sondern das Kleid als konstruktiver Entwurf. Und so arbeitet die Falte auch nicht mehr dem alten erotischen Spiel der Ent- und Verhüllung zu.

Dass der modische Körper spätestens in der Postmoderne endgültig vom erotischen getrennt ist, wie Vinken sagt, markiert die Fallhöhe des Modediskurses. Den Raum für diese Verhandlungen über die Mode forderte, im Anschluss an den Vortrag von Caroline Evans, aus dem Auditorium Ingrid Loschek ein – so bestürzt war die Modehistorikerin über die Diskrepanz zwischen den gerade gehörten erhellenden Ausführungen zu Alexander McQueens Femme fatale und den faden Ansagen der Modemagazine. Das Unglück liegt im „reality check“ (um mit dem Motto der Hamburger Triennale zu sprechen), den die Modepresse noch immer verzweifelt zu unternehmen versucht, obgleich er unweigerlich in die Irre führt. Denn McQueens vermeintlich geschlagene, vermeintlich vergewaltigte Frauen, so Caroline Evans, die Leiterin des Forschungsprogramms „Fashion & Modernity“ am Central Saint Martins College of Art and Design, sind weder Figuren des Alltags noch Monstren eines misogynen Modemachers. Ohne den düsteren Glamour McQueens zu unterschätzen: Faut-il brûler McQueen? Warum nicht besser de Sade mit McQueens messerscharfen Kleiderschnitten neu lesen?

Doch dazu braucht es „Fashion Theory“. Valerie Steele vom Fashion Institute of Technology, New York, hat sie und lieferte ihren Erfahrungsbericht. Denn seit fünf Jahren gibt Steele nun die Zeitschrift gleichen Namens heraus, die im angelsächsischen Raum exakt das Diskussionsforum ist, das Loschek hier vermisst. Im temporären Hamburger Theorieraum der Mode aber entfaltete sich danach mehr und mehr das Paradigma der Information: „Schlitze, Schmutz und Flecken“, die Ruinenästhetik in Kunst und Mode, deutete auch Monika Wagner vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg als ein Phänomen der Oberfläche, der Materialästhetik. Der Schlitz in Fontanas Gemälden mag noch in den christlichen Raum zurückprojiziert werden, wo der Schlitz im Gewand des Heiligen Franziskus den Blick auf die Seitenwunde freigibt und sie zugleich repräsentiert. Doch schon die japanische Inspiration der Arte povera, die Gutai-Gruppe interessierte nur die Präsentation des Materials samt seinem Verfall im Lauf der Zeit. Und dieser Verfall ist es auch, mit dem die Mode, der Patina, Löcher und Schmutz kontraindiziert sind, spielt. Ironische Nostalgie einer sehr bewussten Wahrnehmung der medialisierten und informierten Welt der technischen Oberflächen, der Interfaces, also Schnittstellen, wo computerbesessene Stubenhocker Mud-Jeans tragen und Diesel mit dem Slogan „The Luxury of Dirt“ werben kann: „Erinnerst du dich noch an den Geruch, als du das letzte Mal dein Auto repariert hast?“ Mode-Zeit: Und plötzlich scheint über den informierten Stoff, die dreckstarrende Jeans, die Pathosformel aus Aby Warburgs Menmosyne-Atlas wieder in ihr Recht gesetzt.