Ende eines Mythos

In Hollands Konsensdemokratie verzichteten die Politiker bisher auf Bodyguards. Erste Änderungen gab es nach dem 11. September

DEN HAAG taz ■ Knapp drei Wochen nachdem die holländische Regierung über den für sie wenig schmeichelhaften Bericht über das Massaker in der UN-Schutzzone Srebrenica gestürzt ist, müssen die Niederländer erneut einen Mythos zu Grabe tragen: dass es in ihrer Konsensdemokratie keinen Platz für Hass und Intoleranz gebe. War es bis zu diesem Montag undenkbar, dass sich Politiker nur in Begleitung schwer bewaffneter Bodyguards unters Volk trauen – das Attentat auf Pim Fortuyn wird nun zu einer Diskussion über strengere Sicherheitsmaßnahmen führen.

Jeden Freitag konnten Einwohner und Besucher Den Haags bislang Hollands Ministerpräsidenten Wim Kok auf der Straße treffen, wenn der, gemächlich schlendernd, den Weg von der Kabinettssitzung zur Pressekonferenz nahm. Auch Ministerkollegen schwingen sich in aller Regel aufs Rad, wenn sie vom Parlament zu einer Parteisitzung aufbrechen. Zwar müssen sie sich von Aktivisten der einen oder anderen Gruppe bei zufälligen Begegnungen auf der Straße schon mal als Raffkes beschimpfen lassen. Ernsthaft Sorgen machen mussten sie sich über ihre Sicherheit dennoch nie.

Auch in Parlaments- und Regierungsgebäuden handhaben die Portiers ein lockeres Regime. Wachpersonal fehlte, zumindest bis zum 11. September, gänzlich. „In unserem Land war es bis heute ganz normal, dass sich auch prominente Politiker frei durchs Land bewegen können“, sagte der Minister für Integrationsfragen van Boxtel am Montagabend. „Damit dürfte es jetzt wohl vorbei sein.“

Eine Zäsur hatte es schon mit den Ereignissen vom 11. September gegeben. Plötzlich stiegen etwa Wim Kok und sein Außenminister van Aartsen vom Dienstfahrrad in gepanzerte Limousinen um, in den Vorgärten ihrer Häuser hatte Wachpersonal Posten bezogen. Wim Kok verließ sein Arbeitszimmer nur noch selten ohne Leibwachen. Eine Ausnahme machte hier jedoch weiterhin der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Ad Melkert, der sich als besonders bürgernah präsentierte. Die Zeiten jedoch, in denen der Wähler seinen Kandidaten anfassen konnte, sind seit Montag vorbei. HENK RAIJER