Slogans im Sound

Niemand wird mit Lyrics belästigt, in denen es immer um dasselbe geht: Klaus Kotai, dessen neues Album man der Konzept-School des Techno zurechnen kann, geht es um Widersprüche und Brüche und um Klarheit und scharfe Kanten. Ein Porträt

„Diese strikten Limits im Techno hielt ich von Anfang an für total falsch“

von HARALD FRICKE

Auf dem Tisch im Café liegt eine Schachtel „Basic“. Nicht gerade Luxus, was Klaus Kotai raucht. Aber der Name passt gut zu seiner Haltung als Musiker. Andererseits: Soll man alles als Attitüde lesen? Vielleicht. Immerhin liegt dem Label, für das Kotai in den letzten Jahren diverse Maxis aufgenommen hat, sehr an einem Corporate Design: Seit 1996 sind Produkte des Elektro Music Department in einer mengenlehrehaften Digital-Ästhetik der drei Grundfarben gehalten. Rotgelbblau, das schafft Verbindlichkeit, das steht für Klarheit, für einen sauber am Computerschnittplatz konstruierten Minimalismus – eben für alles, was Techno aus Berlin groß gemacht hat in den Neunzigerjahren.

Doch das war gestern, jetzt ist 2002 – das Jahr, in dem wir wieder Kontakt mit den Eighties aufnahmen –, und Kotai hat sich umentschieden. Die Hülle der neuen CD ist babyblau und schweinchenrosa in den milden Pastelltönen einer bekannten Handcreme, eine grafisch gefächerte Blüte als Logo sieht dem früheren Firmenzeichen von Adidas sehr ähnlich. Ganz wollte er nicht auf die Spielerei mit Images und Marken verzichten, erklärt Kotai, aber „es sollte etwas Luftiges aufs Cover, um mehr Vielseitigkeit anzudeuten“. Dieses Mehr meint auch: mehr Pop-Appeal, mehr Verkauf.

Die Platte erscheint bei WMF-Records, weil es dort bessere Vertriebsstrukturen gibt als auf seinem bisherigen „EMD“-Label. Der Pragmatismus ändert allerdings nichts an den alten Verbindlichkeiten. Noch immer arbeitet Kotai mit dem Videokünstler Daniel Pflumm und der DJane Mo Loscheder, die Mitte der Neunziger den „Panasonic“-Club an der Invalidenstraße organisierten und heute den Kern des Elektro Music Department bilden. Deshalb besorgt Pflumm weiterhin das visuelle Erscheinungsbild der Platten und für geplante Live-Auftritte, bei denen er „mit projizierten Texten auf die Musik eingeht“. Gleichzeitig merkt man im Gespräch mit Kotai, dass er gegenüber dem Kunstbetrieb, in dem Pflumms Videos längst in der Museumslounge laufen, ein bisschen auf Distanz gehen möchte. Dass sich die scharf gekantete Elektronik hervorragend als Begleitsound für Galerieeröffnungen eignet, ist für ihn zwar kein Problem, wirkt auf Dauer aber sehr einschränkend: „Die Anbindung an den Kunstbereich hat sich eher aus den Interessen des Publikums ergeben. Ansonsten habe ich mich gar nicht mit der Kunstszene beschäftigt.“

Dennoch wird man auch sein neues Album der Konzept-School des Techno zurechnen. Zu elegant ist jedes Rhythmuspattern auf die verschlungenen Noise-Flächen abgestimmt, alles scheint minutenlang in feingliedrigen Ornamentschleifen nachzufedern. Die Vielfalt entspricht der Biografie: Von Wien aus war Kotai in den Achtzigerjahren nach München gegangen, hatte dort in einer Band gesungen und Kontakte zum ortsansässigen Label „Disko B“ geknüpft. Die musikalische Prägung geht sogar so weit zurück, dass Kotai mal auf Cooljazz à la Gerry Mulligan zu sprechen kommt, den schon sein Vater mochte, um sich im nächsten Moment über den Sexismus in Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ zu mokieren. Als Reaktion auf die „krasse Sprache“ der allzeit bereiten Rocker, „die gerade bei Frauen sehr beliebt waren“, hat er „Ridin is very expensive“ geschrieben. Während ein Sequenzer im Stakkato auf- und abschwillt, häufen sich die Metalmythen vom Mann zu einem garstigen Textszenario: halb Mensch, halb Pferd, Blowjobs und viel Fleisch, das als „Horseburger“ bei McDonald’s auf hungrige Kundschaft wartet. Überhaupt sind die Stücke voll von schwer entwirrbaren Assoziationen. In „Pretty Men wear pretty clothes“ gibt Leatherface den Stilberater, später fliegen in „BA3“ B-52-Bomber Einsätze, am Boden liegen Landminen aus – und nebenbei wird über Einkommenssteuer diskutiert.

Wohl dosiert prallen die Worte bei Kotai aufeinander. Widersprüche werden mit wenigen, aber präzisen Textsprengseln markiert: „Es geht um den Bruch, der zwischen zwei Bildern stattfindet. Ein Vater will seinem Kind die Vögel am Himmel zeigen, aber das Kind sieht Kampfflugzeuge, da muss er sich zwangsläufig eine Erklärung überlegen“. Wer nun an einen Prediger denkt, der seine Verse bei 150 Beats per Minute herunterbetet, liegt vermutlich nicht einmal falsch, auch wenn Kotai seine Aufgabe als Sänger anders versteht: „Mit dem Gebrüll von Antikriegsbands kann ich nichts anfangen. Für mich geht es darum, dass man im Text nicht alles erklärt, sondern der Zuhörer selbst interpretieren muss, was er hört.“ Deshalb sind die Statements möglichst knapp formuliert, niemand soll mit Lyrics belästigt werden, in denen es mit jeder neuen Strophe doch immer nur um die gleiche Sache geht – das will Kotai dann doch Depeche Mode überlassen.

Aber wieso überhaupt Texte und Gesang? Was haben solche tief eingeschwärzten Botschaften in einer Musik verloren, die doch in der Regel wortlos vor sich hin pluckert? Die Antwort kommt ohne viel Zögern: „Diese strikten Limits im Techno hielt ich von Anfang an für total falsch“, erklärt Kotai und zündet sich die dritte Zigarette innerhalb einer halben Stunde an, „schließlich hat die gesungene Sprache auch eine lautmalerische Qualität, die die Strukturen ergänzen kann.“ Genau mit diesem Anspruch war schon in der Folge von Punk eine Menge elektronischer Musik produziert worden. Cabaret Voltaire, die Industrialbands – überall lauerten Slogans im Wall of Sound, überall war Text ein Fragment mehr im Rauschen der Collagen.

Seltsamerweise sind Kotai, der die vierzig mit Sicherheit noch im letzten Jahrtausend überschritten haben muss, kaum Bands aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben. Alan Vega von Suicide, dessen nervöser Gesangsstil einem bei Kotais verhallt raunender Stimme sofort in den Sinn kommt, hat er erst vor zwei Jahren entdeckt. Bei Spezis wie Thomas Leer zuckt er mit den Schultern, Throbbing Gristle mochte er wegen ihrer „Antiästhetik“, wie er es nennt, noch nie. Weit kommt man jedenfalls nicht mit den frühen Achtzigerjahren – trotz oder gerade wegen des Revivals: „Wenn meine Musik und die Sachen von damals einander ähnlich wären, dann würde ich mich doch davon unterscheiden wollen“, damit ist das Gerede über irgendwelche Parallelen beendet. Schade eigentlich, denn dass er für DAF und Robert Görl, für sägende Frequenzen und endlos mäandernde Filtersounds einige Sympathien hat, hört man eben doch auf jedem seiner Stücke. Und sind nicht „Texas Chainsaw Massacre“ oder „Night of the living dead“, aus denen das Personal der Texte von Kotai stammen, schon damals das filmische Pendant zu den Industrial-Performances gewesen?

Natürlich könnte seine Antwort schlicht lauten: „Ach ja, mag sein.“ Aber das sagt Kotai nicht, er schweigt nur und raucht noch eine Zigarette. Dann schaut er vor sich auf die schwarz polierte Tischplatte, überlegt einen Augenblick und findet doch einen ganz passablen Schluss fürs Gespräch: „Ich mag es nicht, wenn in Popproduktionen alles immer gleichmäßig schön und präsent zu hören ist. Es muss auch möglich sein, mit weniger Perfektion an die Sachen heranzugehen. Aber der Punkt, auf den man diese Sachen bringen will, der ist wichtig.“ Da ist sie wieder, die Einstellung, die zur Zigarette passt: basic. Jedes Mehr danach wäre weniger.

Kotai: „kotai“ (WMF-Records)Record-Release-Party, 17. 5., 23 Uhr, im Cookies