Heile Streikwelt in Heilbronn

Der erste Ausstand in der Betriebsgeschichte ist für Heilbronner Metaller kein Grund zur Aufregung. Die meisten Beschäftigten bleiben zu Hause. Und die Chefs winken den Streikposten freundlich zu

aus Heilbronn KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Das ist der Tag des Pasquale Lombardi. Der Italiener rückt seine futuristische Sonnenbrille zurecht und grinst breit: „Dass ich das noch erleben durfte – nach dreißig Jahren Maloche hier.“

An diesem blauen Mittwoch im Mai wird nämlich endlich auch in Heilbronn gestreikt: bei der mittelständigen Firma Illig GmbH, einem Hersteller von Verpackungsmaschinen. Und bei der kleinen Firma Amos GmbH, die gigantische Weinpressen und Entsaftungsmaschinen baut.

Der Streikposten Lombardi wird in diesem Sommerurlaub in Apulien seinen Verwandten also endlich einmal etwas vom „Arbeitskampf“ in Baden-Württemberg erzählen können. Über manches werden sie sich wundern. Zum Beispiel darüber, dass Lombardis deutsche Kollegen bei der Firma Illig merkwürdigerweise richtig stolz darauf sind, dass bei Illig über dreißig Jahre lang nicht gestreikt wurde, genauer gesagt: „noch nie“ seit der Firmengründung 1946, wie Betriebsratsboss Bruno Heilmann berichtet. Der Seniorchef sei eben ein „ganz prima Kerl“.

Kurz danach fährt der Chef wie bestellt im Benz vor und winkt den Streikposten freundlich zu. Und die Vertreter der Arbeiterklasse am großen Haupttor zum Fabrikgelände winken ebenso freundlich zurück. „Man will sich morgen am Arbeitsplatz ja schließlich wieder in die Augen blicken können“, sagt Heilmann, der sich zur Feier des schönen Streiktages eine Schiebermütze aufgesetzt hat.

Lenin in Heilbronn? Da muss auch der Bezirkssekretär der IG Metall, Werner Schrott, grinsen; fast so breit wie Lombardi. Streik light am Neckar. Aber mit dem von der IG Metall formulierten Streikziel ist es ihnen schon ernst. Die Facharbeiter bei Illig verdienen mit Zulagen zwischen 2.400 und 2.600 Euro brutto. Sie hätten alle gerne wenigstens 4 Prozent mehr auf dem Konto. Und ganz wichtig sei ihnen auch die von der IG Metall angestrebte Aufhebung der Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten in den Tarifverträgen, fügt Betriebsrat Heilmann hinzu.

Gewerkschafter Schrott bringt gegen Mittag die Restauflage der Flugblätter vorbei, die in den Tagen zuvor an die rund 850 Kollegen verteilt wurden. Auf ihnen werden die wichtigsten Fragen beantwortet: „Muss ich am Streiktag in die Firma? Nein. Die zum Streik aufgerufenen Beschäftigten können zu Hause bleiben.“ Und: „Wie erhalte ich mein Streikgeld? Die IG Metall überweist die Streikunterstützung binnen einer Woche auf Dein Konto.“ Streiken leicht gemacht. Wohl deshalb beteiligen sich bei Illig „mehr als 90 Prozent“ (Heilmann) an diesem Ausstand. Streikbrecher aus den Reihen der nicht organisierten Arbeitnehmer gibt es auch keine. Nur „die vom Management“ hätten sich eingefunden. „Die meisten Kollegen arbeiten heute lieber daheim im Garten“, weiß Schrott. Und keiner hier an den Streikposten sei deshalb böse.

Gute Stimmung auch am Hintereingang. Dort steht die junge Streikfront. Die Jugendvertreter im Betriebsrat stellen drei Streikposten. Der Organisationsgrad von 85 Prozent bei den Azubis von Illig ist der höchste in der Republik. Schrott spielt seinen Anteil an der Mobilisierung herunter, das hätten die Jugendvertreter alleine geschafft. Die freuen sich über so viel Lob.

Schrott macht weiter seine Runde. Überall im Viertel riecht es penetrant nach Brühwürfel. Der Geschmacksverderber Knorr betreibt in Heilbronn sein deutsches Stammwerk.

Vor der Firma Amos mit ihren 45 Beschäftigen haben die Streikposten einen Schanktisch mit Bänken aufgestellt. Die Sonne scheint. Und die Betriebsratsmitglieder Hans Kühner und Gabi Kampke-Mauz genießen die Ruhe vor der sonst so lauten Fabrik. Ab und an verteilen sie Flaschenöffner mit dem Logo der IG Metall an Besucher des nahe gelegenen Pflanzengroßmarkts.

„Alle Räder stehen still!“, vermeldet Kampke-Mauz aufgekratzt. Außer den fünf Streikposten sei keiner der Beschäftigten erschienen. Ob es Ärger mit der Geschäftsführung gegeben habe, will Schrott wissen? „Ganz im Gegenteil“, sagt dann Kühner. Der Boss habe schon am frühen Morgen alle Streikposten freundlich begrüßt. „Und was ist mit dem Kaffee? Hat den etwa seine Sekretärin rausgebracht?“ Nein, den habe man „selbst mitgebracht“, so Kampke-Mauz jetzt etwas spitz. Aber dann lächelt sie wieder. Und Schrott lächelt zurück. Noch sechs Stunden. Dann ist er vorbei, der „Flexi-Streik“ am ersten Tag des in diesem Jahr zwei Tage dauernden Vatertages.