Freie Hand für die Vergeltung

Nach den jüngsten Anschlägen fürchten die Palästinenser erneute israelische Militärschläge – fraglich ist nur, wann und wo die Panzer einrücken werden

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Einen Tag nach dem Terroranschlag in Rischon Lezion, südlich von Tel Aviv, bei dem einschließlich des Attentäters mindestens 16 Menschen starben und über 50 verletzt wurden, harren die Palästinenser vor allem im Gaza-Streifen der israelischen Vergeltung. Von einer Militäroperation nach dem Muster der Aktion „Schutzwall“ im Westjordanland ist die Rede. Am Mittwochabend entschied das israelische Kabinett über eine „freie Hand“ für Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser. Mehrere Panzerdivisionen postierten sich, palästinensischen Berichten zufolge, bereits entlang der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen. Israelische Sicherheitsdienste beschäftigte am Donnerstag vor allem die Frage, ob der Attentäter aus dem Gaza-Streifen oder aus Ramallah kommt. Seit Beginn der Intifada war kein einziger Selbstmordattentäter aus dem Gaza-Streifen gekommen. Die Widerstandsbewegung Hamas hatte am Vortag die Verantwortung für den Anschlag übernommen.

Palästinenserführer Jassir Arafat hatte das Attentat in einer Rede des palästinensischen Fernsehens verurteilt und seine Sicherheitsdienste dazu aufgefordert, Anschläge gegen israelische Zivilisten fortan zu unterbinden. Die Hamas bestätigte am Donnerstag, dass bereits 14 Aktivisten der Bewegung im Gaza-Streifen verhaftet worden seien. Die palästinensische Führung erließ zudem ein Verbot, Hamas-Aktivisten in der führungsnahen Fernsehstation zu Wort kommen zu lassen.

Aufgrund der Ungewissheit über die Herkunft des Attentäters, so schrieb der militärische Analyst Seew Schiff von der liberalen Tageszeitung Haa’retz am Donnerstag, „ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die militärische Antwort, die Premierminister Ariel Scharon im Verlauf seiner Pressekonferenz in Washington ankündigte, verzögern wird“. Scharon war gerade auf dem Weg zu einem Treffen mit US-Präsident George W. Bush, als ihn die Nachricht von dem Attentat erreichte. Eine so umfangreiche Operation, wie sie Israel Ende März im Westjordanland aufnahm, würde zusätzlich die Einberufung der Reservisten nötig machen.

Oppositionsführer Jossi Sarid warnte unterdessen vor einem Einmarsch der Truppen nach Gaza, der „neue Tragödien à la Dschenin“ mit sich bringen würde. Die Invasion in die Region mit der „weltweit höchsten Bevölkerungsdichte“ würde „ohne Zweifel einen hohen Blutzoll fordern“, meinte Sarid. Alternativ rechnen Militärbeobachter mit punktuellen Angriffen, wie temporär begrenzte Invasionen und Bombardierungen auf Ziele in Gaza und im Westjordanland. Ein Landesverweis für Palästinenserführer Jassir Arafat wird vor allem von Stabschef Schaul Mofas vorangetrieben. Diese Forderung sei „keine Option“, meinte am Mittwochabend hingegen Außenminister Schimon Peres. Israel sei mit den USA im Rahmen des „Ramallah-Kompromisses“ übereingekommen, Arafat Ausreisen aus dem Autonomiegebiet sowie die Rückkehr dorthin zu gewährleisten. Der Kompromiss sah Reisefreiheit für Arafat im Gegenzug für die Übergabe von sechs von Israel gesuchten Palästinensern in die Obhut britischer und amerikanischer Sicherheitsleute vor.

Mofas schlägt alternativ vor, den geistigen Hamas-Führer im Gaza-Streifen, Scheich Achmad Jassin, ins Exil zu schicken. Die Militärs hatten bislang aus Sorge vor neuem Terror davon abgesehen. Scharon hatte auf seiner USA-Reise vor allem versucht, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sich Arafat als Partner im Friedensprozess disqualifiziert habe. Bush traf am Mittwoch mit dem jordanischen König Abdallah II. zusammen, der die Hoffnung äußerte, dass Arafat weiterhin eine Rolle im Friedensprozess spielen werde. Politische Beobachter in Israel rechnen damit, dass die USA Israel in dieser Frage nachgeben werden und Arafat „auf eine rein zeremonielle Rolle“, so Ha’aretz, beschränken könnten, um parallel mit anderen führenden Palästinensern zu verhandeln.