Hippokrates im Visier

Durchsuchung im Harburger Gesundheitsamt: Amtsärztin soll ein „falsches“ Attest ausgestellt haben, das eine jugoslawische Flüchtlingsfrau vor der Abschiebung bewahrte. Ärztekammer kritisiert Vehemenz der Staatsanwaltschaft

von HEIKE DIERBACH

Niedergelassene ÄrztInnen, die kranken Flüchtlingen ein Attest ausstellen, sind der Ausländerbehörde schon lange ein Dorn im Auge. Bislang konnten sie sich allerdings damit rechtfertigen, dass ihre Diagnosen fast ausnahmslos von AmtsärztInnen bestätigt wurden. Jetzt geraten letztere selbst ins Visier: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Harburger Amtsärztin wegen des Verdachts der „Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ und „Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz“. Auch gegen einen Amtsarzt in Eimsbüttel wurde gleichzeitig ermittelt – das Verfahren wurde aber eingestellt.

Die Harburger Ärztin hatte einer jugoslawischen Frau eine psychische Störung bescheinigt, die deren Abschiebung unmöglich machte. Eine „Privatperson“ soll sie deshalb angezeigt haben. Am 28. März rückte die Staatsanwaltschaft an und durchsuchte sowohl die Diensträume in Neugraben als auch die Privatwohnung der betroffenen Ärztin. Begründet wurde der Tatverdacht mit der Aussage von zwei ZeugInnen: Dem Ex-Mann der Patientin und einem Sozialamtsmitarbeiter, der vor Jahren Streit mit der Amtsärztin hatte. Dem Hamburger Amtsgericht waren diese ZeugInnen offenbar zu dubios: Es lehnte den Durchsuchungsbefehl zunächst ab. Erst beim Landgericht bekam die Staatsanwaltschaft grünes Licht. Auch die Wohnung der Patientin wurde am Gründonnerstag durchsucht: Ihr wird vorgeworfen, die Ärztin zu dem „falschen“ Attest angestiftet zu haben.

Der Leiter des Harburger Gesundheitsamtes, Burkhardt Jaeschke, ist „hundertprozentig überzeugt, dass meine Mitarbeiterin korrekt gehandelt hat“. Um seine übrigen Mitarbeiter vor ähnlicher Verfolgung zu schützen, hat er angeordnet, dass die Harburger Amtsärzte bis auf weiteres keine Flüchtlinge mehr begutachten. Auch die Hamburger Ärztekammer geht davon aus, dass die Diagnose der Amtsärztin „vernünftig“ war: „Wir sind verblüfft über die Vehemenz, mit der die Staatsanwaltschaft vorgeht“, so Sprecher Wolfram Scharenberg. Sollte es der Strafverfolgungsbehörde nicht gelingen, die Vorwürfe zu beweisen, „ist sie der Ärzteschaft eine Erklärung schuldig“.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Staatsanwaltschaft massiv gegen ÄrztInnen vorgeht, die Flüchtlingen Atteste ausstellen: Im Mai 2001 durchsuchte sie sechs Praxen, darunter die Räume eines Oberarztes im Klinikum Nord und die des MigrantInnenbeauftragten der Ärztekammer, Klaus Weber. Die Verfahren dauern noch an.

Auch das Misstrauen gegen die AmtsärztInnen hat Tradition: Im vorigen Dezember erließ der stellvertretende Leiter der Ausländerbehörde, Michael Klahn, eine Dienstanweisung, nach der „neben Amtsärzten auch anerkannte Fachärzte konsultiert werden können“. Die Prüfkette wurde damit um ein Glied länger: Ein niedergelassener Arzt attestierte einem Flüchtling eine Krankheit; der Amtsarzt prüfte. Falls er zur selben Diagnose kam, ließ die Ausländerbehörde sein Gutachten wiederum von einem Facharzt überprüfen. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft.