Ein paar Räder stehen still

Ab Montag streiken die Metaller der Region flächendeckend für mehr Geld – erstmals seit der Weimarer Republik. Mit einem flexiblen Konzept wollen die Gewerkschaften die Streikfolgen lindern

von RICHARD ROTHER

Die IG Metall macht Ernst. Zwar lagen die Ergebnisse der Urabstimmung in der Region unter denen in Baden-Württemberg, dennoch beginnen die Metaller am Montag ihren ersten flächendecken Streik in Berlin und Brandenburg seit der Weimarer Republik. Ein historisches Ereignis – zwölf Jahre nach der Wende haben sich offenbar Gewerkschaften und ein Großteil der übrig gebliebenen Unternehmen so weit konsolidiert, dass die IG Metall die Region neben Baden-Württemberg zum Pilotbezirk erklärt hat.

Der gewollte Nebeneffekt: deutsche und nichtdeutsche Westberliner, Ostberliner und Brandenburger sollen sich am Werkstor und auf der Straße zusammenfinden – im Kampf für höhere Löhne sowie die Abschaffung der Trennung von Arbeiter- und Angestellten-Entgelten. Die Ostbeschäftigten kriegen zwar die gleichen Ecklöhne, arbeiten dafür aber drei Stunden länger pro Woche. Trotz der Streikausdehnung auf Berlin und Brandenburg dürfte der wirtschaftlich florierende Südwesten aber Schwerpunkt des Arbeitskampfes bleiben – dort verhandeln die Tarifparteien immerhin für 800.000 Beschäftigte, während es in Berlin und Brandenburg nur knapp 100.000 sind.

Ab Montag werden in der Region 25 Betriebe mit rund 10.000 Beschäftigten in den Ausstand einbezogen. Bestreikt werden zunächst aber nur sechs Betriebe. Welche Unternehmen betroffen sind, hält die Gewerkschaft geheim – die Unternehmer sollen sich nicht vorbereiten können. Bekannte Unternehmen, die in Berlin grundsätzlich in Frage kommen: Siemens in Spandau, das DaimlerChrysler-Motorenwerk in Marienfelde, das BMW-Motorradwerk in Spandau, der Glühlampenhersteller Osram, die Aufzugspezialisten Schindler und Otis, Alstom Power Service in Pankow und Babcock Borsig. In Brandenburg liegen die bedeutenden Betriebe im Speckgürtel: etwa der Triebwerkhersteller Rolls Royce in Dahlewitz, das DaimlerChrysler-Transporterwerk in Ludwigsfelde, das MTU-Turbinenwerk in Ludwigsfelde, der Schienenfahrzeughersteller Bombardier in Hennigsdorf.

Strategie der IG Metall ist es allerdings nicht, alle Räder und Bänder dauerhaft stillzulegen. Zunächst werden nur einzelne Betriebe tageweise bestreikt, um die Fernwirkungen gering zu halten. Damit soll Unternehmen außerhalb des Streikgebietes kein Grund gegeben werden, Beschäftigte etwa auf Grund fehlender Lieferungen kalt auszusperren, das heißt ohne Arbeit und Lohn wieder nach Hause zu schicken. Die Unterstützung der kalt Ausgesperrten, die auf Grund einer Gesetzesänderung aus den 80er-Jahren kein Kurzarbeitergeld mehr erhalten, würde die Gewerkschaft finanziell überfordern. Sie zahlt immerhin den Metallern im Ausstand rund 60 Prozent des Lohnes als Streikgeld. Sollten Unternehmer im Streikgebiet mit so genannten heißen Aussperrungen reagieren, würde die IG Metall den Betroffenen unter die Arme greifen – allerdings nur bei Gewerkschaftsmitgliedern.

„Wir müssen nicht mit der Arbeiterfaust zuschlagen“, sagt Gewerkschaftsprecherin Marlies Dahne. Auch mit kleineren Nadelstichen könne eine große Wirkung erzielt werden. Nicht ohne Stolz berichtet die Gewerkschafterin von Erfahrungen in anderen Regionen. Das Prinzip „Eine Schicht Arbeit eine Schicht Streik“ habe zu so großen organisatorischen Verwirrungen geführt, dass die Unternehmen schneller einlenken mussten als bei einem dauerhaften Streik.

Die Unternehmer warnen die IG Metall indes davor, „mit dem Feuer zu spielen“. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin-Brandenburg (VME), Hartmann Kleiner: „Übermäßige Lohnerhöhungen werden unweigerlich die Streichung vieler Arbeitsplätze zur Folge haben.“ Die Unternehmen stünden unter massivem Wettbewerbsdruck. Allein in der Region würden bis Jahresende 2.500 Arbeitsplätze abgebaut, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig seien.

Der Streik treffe die Branche „in einem extrem labilen wirtschaftlichen Zustand“, sagt VME-Sprecher Thorsten Elsholtz. Wirtschaftsforscher hätten bestätigt, dass der Aufschwung später als gedacht komme und nicht so kräftig ausfalle wie erhofft. Die Produktion werde in diesem Jahr gar um 2,4 Prozent zurückgehen.

Die Gewerkschaft präsentiert erwartungsgemäß andere Zahlen. Die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie wachse schneller als die westdeutsche, so IG-Metall-Verhandlungsführer Hasso Düvel. Allein in 2001 sei der Umsatz der Branche in Ostdeutschland um 9,1 gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Die manchmal schwierige Lage von kleinen und mittleren Unternehmen werde genutzt, um die ostdeutschen Tarife zu drücken. Düvel: „Damit muss Schluss sein.“