Aufstand im Knast

Seit Wochen rebellieren in Algeriens Gefängnissen die Insassen gegen katastrophale Haftbedingungen

MADRID taz ■ Algeriens Gefangene rebellieren. Seit Anfang April kam es in insgesamt elf Haftanstalten zu Meutereien. Insassen zündeten ihre Matratzen an, um gegen ihre Haftbedingungen zu demonstrieren. Die traurige Bilanz: Es kam bisher zu 44 Toten und über 50 Verletzten. Die schlimmsten Unruhen fanden in Algier und in Constantine statt. In der algerischen Hauptstadt erlagen dabei 21 Gefangene ihren Brandverletzungen oder einer Rauchvergiftung. In Constantine sind 22 Tote zu beklagen.

Die letzte Revolte wurde am Donnerstag von der Polizei im Gefängnis von Sidi Bel Abbes 440 Kilometer westlich von Algier niedergeschlagen. Die Gefangenen riefen immer wieder: „Allah ist groß, es gibt keinen anderen Gott als Allah. Justizminister Ouyahia ist der Feind Gottes.“

„Die Revolten sind der Ausdruck einer politischen Krise, die sich in der gesamten Gesellschaft und auch in den Gefängnissen breit macht“, beurteilt Mahmoud Khelilli die Lage. Der Menschenrechtsanwalt aus Algier glaubt, dass die sozialen Proteste, die seit über einem Jahr verschiedene Regionen des Landes erschüttern, jetzt auf die Haftanstalten übergesprungen sind: „Die Bürger fordern überall ihre Rechte ein“, erklärt Khelilli.

Der Anwalt, der sich durch die Verteidigung von Islamisten einen Namen gemacht hat, prangert die Haftbedingungen an. Die meisten Gefängnisse seien restlos überbelegt. Vor dem Ausbruch der Krise in Algerien, nach dem Verbot der Islamischen Heilsfront (FIS) 1992, saßen 25.500 Häftlinge ein. Heute sind es über 38.000. Algeriens Gefängnisse haben eine Kapazität von 28.000. Viele Gefangene leben in engen, überfüllten Zellen, in denen kaum die dünnen Strohmatratzen Platz haben. Die Duschen reichen nicht für alle, die Verpflegung ist ungenießbar. Die Gefangenen sind den größten Teil des Tages in ihren Zellen eingeschlossen.

Justizminister Ahmed Ouyahia will weder von Rücktrittsforderungen noch von Hafterleichterungen oder vorzeitigen Entlassungen etwas wissen. „Jeder der Insassen hat ein Opfer zurückgelassen. Hören wir also auf, mit Gefühlen zu reagieren“, erklärt Ouyahia. Er ordnete lediglich an, die Zellen mit schwer entflammbaren Matratzen auszustatten und das Rauchen in den Haftanstalten zu verbieten. Für Ouyahia sind die Gefangenenrevolten von langer Hand vorbereitet. „Bei den Meuterern handelt es sich um Gefangene, die wegen Terrorismus einsitzen, und um zum Tode Verurteilte“, stempelt der Minister die Aufständischen kurzerhand ab.

Die unabhängige algerische Presse allerdings widerspricht Ouyahias Terrorismusthese. Bei den meisten Meuterer handle es sich um Gefangene, die wegen normaler Vergehen einsitzen.

REINER WANDLER