: Finnland für alle
Eine deutsche Premiere plant der Bildungsminister von Brandenburg: neun Jahre Grundschule. Ministerin Bulmahn fliegt zum Vorbild nach Finnland
von CHRISTIAN FÜLLER
Fünf Monate nach dem Pisa-Schock kommt jetzt der erste große Tabubruch in der Bildungsdebatte – ausgerechnet aus einem der kleinen Bundesländer. Die Fraktion der regierenden Sozialdemokraten in Brandenburg prüft Ideen für eine neue Schulart: eine Grundschule, die neun Jahre dauert. Nach dem miserablen Abschneiden der deutschen 15-Jährigen bei der Pisa-Studie war bislang über alles diskutiert worden – nur über eins nicht: die weltweit einmalige scharfe Trennung der Kinder in Haupt- und Realschüler sowie Gymnasiasten ab dem zehnten Lebensjahr. In Deutschland waren 23 Prozent der Pisa-Getesteten funktionale Analphabeten oder sehr schlechte Leser.
Der Potsdamer Schulplan erhält auch vor einem anderen Hintergrund Bedeutung: Vorbild dafür ist das seit Pisa weltweit angesehenste Bildungskonzept, die finnische Schule. Über Pfingsten werden alle deutschen Bildungsminister der SPD nach Finnland und Schweden reisen – darunter auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und die Ministerin mit dem größten Bildungsetat der Republik, Gaby Behler aus Nordrhein-Westfalen. Die Finnen hatten bei dem internationalen Vergleichstest über die Lesefähigkeit exzellent abgeschnitten. Die Hälfte der 15-Jährigen erwiesen sich als sehr gute und diskussionsfähige Leser. In Deutschland waren es 28 Prozent.
Seit Ende der 60er-Jahre gibt es in den beiden Nordländern eine neunjährige Schule für alle. Danach wechseln 75 Prozent der Schweden und über 90 Prozent der Finnen aufs Gymnasium. Die Schüler werden nicht nach Leistungsklassen getrennt. Unterrichtszufriedenheit und Leistungen der Skandinavier sind trotzdem sehr hoch.
Der Bildungsminister Brandenburgs, Steffen Reiche (SPD), steht hinter dem Beschluss seiner Fraktion – anders als die mitregierende CDU. Sie hat sofort scharf gegen den Beschluss ihres Koalitionspartners protestiert. „Das ist mit uns nicht zu machen“, sagte CDU-Fraktionschefin Beate Blechinger, die lieber die sechsjährige Grundschulzeit verkürzen würde. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Ingrid Siebke, beharrt dennoch auf dem SPD-Beschluss: „Pisa widerlegt eindeutig, dass eine frühzeitige Trennung von leistungsstärkeren und leistungssschwächeren Schülern zu bestmöglichen Lernergebnissen führt.“
Der Anspruch, den die SPD-Fraktion an ihre neue Schule stellt, ist hoch. „Wir wollen ein integratives Modell mit einem ganz neuen Anspruch einführen – exzellenten Schülerleistungen, wie wir sie in Finnland sehen“, sagte der Sprecher der SPD-Fraktion, Ingo Decker. Die finnische Schule in Brandenburg würde zu einem Stufenplan gehören: Man will sofort die Bildungsqualität von Kindergärten und Grundschulen erhöhen. In einem zweiten Schritt soll dann geprüft werden, ob die sechsjährige Grundschule auf neun Jahre ausgedehnt werden könnte. Wie in Finnland würden deshalb die Gymnasien nicht etwa abgeschafft. Sie würden sich künftig an die neunjährige Schule anschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen