Zucker für den Plebs

Ronald Schill ergeht sich auf dem Bundesparteitag in Polemik und ausländerfeindlichen Ausfällen. Dem Volk gefällt das. Es feiert seinen Vorsitzenden mit stehenden Ovationen

von PETER AHRENS

Der Senator bleibt an diesem Tag mal zu Hause. Dies ist keine hanseatische Senatssitzung, sondern ein Parteitag. Der Plebs muss befriedigt werden, und daher kann Ronald Schill wieder keilen wie in alten Zeiten. Angefeuert von seinem Parteivolk, das auf das Ausländerthema wie auf Knopfdruck anspringt und applaudiert und johlt, dass die Wände der Messehallen wackeln. Stehende Ovationen gibt es bereits, als Schill am Morgen in den Saal kommt, minutenlanges Händeklatschen, als der große Vorsitzende seine Rede beendet. Dazwischen liegen zwei Stunden wüste Polemik, ausländerfeindliche Ausfälle, ritualisierte Politikverdrossenheit – Schill in seinem Element.

Der Mann, der die Innenpolitik der Freien und Hansestadt Hamburg repräsentiert, wünscht sich eine „stringente Ausländerpolitik, wie sie in Dänemark jetzt praktiziert wird“, er höhnt: „Unter Terrorismusbekämpfung versteht man in Europa, dass man die palästinensischen Terroristen aus der Geburtskirche in Bethlehem hierher holt und sie Asylanträge stellen lässt.“ Es sei ein „unglaublicher Skandal, dass Deutschland sich den Luxus erlaubt hat, doppelt so viele Bosnien-Flüchtlinge aufzunehmen wie andere Länder“, der „im Schweiße unseres Angesichtes verdiente Wohlstand wird auf diese Weise verfrühstückt“, das Land erlebe „eine unkontrollierte Einwanderung von Menschen, die nicht integrierbar sind“. Und jedesmal braust er auf, der Beifall des kleinen Mannes aus Wandsbek, der Magdeburger Börde und dem Spessartwald. Schill muss nur den Namen Gregor Gysis erwähnen, da schwillen die Halsadern, da wird gebuht, da werden die Köpfe geschüttelt. Armes Berlin. Seit 20 Jahren, so doziert der Parteigründer weiter, leide Deutschland unter der Resozialisierung von Straftätern, „das ist alles Quatsch“. Wenn man Straftäter gut behandele, „ermuntert man sie nur zu neuen Verbrechen“.

Der Amtsrichter außer Dienst ringt die Hände über all „die Ungerechtigkeiten, die ständig passieren“. Da ist es gut, dass es die Schill-Partei gibt, die Partei, in der die Menschen „gesunden Menschenverstandes und ehrlichen Herzens“ eine neue Heimat gefunden haben. Und das, obwohl, wie Schill weiß, „wir Politikverdrossene sind – wir sind eine Protestpartei, wir sind keine Politiker“.

Die in Hamburg aus Sicht ihres Chefs noch viel zu tun habe. „Wir haben Ankündigungen gemacht, jetzt stehen wir in der Verantwortung, diese umzusetzen.“ Niemand habe Verständnis dafür, „wenn wir es hier in Hamburg schleifen lassen, während ich in München oder anderswo herumtingele und Wahlkampf mache“, begründet er seinen Rückzug aufs Hanseatische. In die Fernsehkameras, die sich um ihn herum aufbauen, sagt er später: „Ich glaube, der Mehrheit der Partei ist klar, dass es ohne mich, ohne uns in Hamburg nicht geht.“ Dieser Mehrheit hat er zum Schluss seiner Rede zugerufen: „Mit Ihnen werden wir ein anderes Deutschland bauen.“

Drinnen tobt darob das Volk, das dies tatsächlich glaubt, draußen im Foyer vorm Kaffeestand steht eine Schlange an. Ein Schill-Mensch weiß auch, warum es etwas länger dauert, bis er seinen Kaffee (braun mit etwas Milch) bekommt: „Das sind ja auch Ausländer, die uns da bedienen.“

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