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Zufrieden wie die Kesselflicker

Lange prägten die Bilder der Fotografin Eva Siao ein Bild Chinas jenseits der Propaganda. In der Fotogalerie Friedrichshain wird ihre Hommage an das einfache Leben und die Tradition des Handwerks noch einmal gezeigt

In der jungen Volksrepublik China, notierte Stephan Hermlin, stellte selbst ein schmaler, holperiger Weg für Ochsenkarren einen „großen Sieg über Krankheit und Tod“ dar. „Hier versanken Karren samt Treibern und Ochsen, hier ertränkten verzweifelte Kinder ihre Neugeborenen, die sie nicht ernähren konnten“, schrieb der Essayist, der als Mitglied der Ostberliner Akademie der Künste und des PEN-Clubs in diesen Jahren zahlreiche Auslandsreisen unternehmen konnte. Sein Band mit Reisereportagen „Ferne Nähe“ erschien 1954 mit Fotos von Eva Siao. Doch nicht nur Lesern Hermlins dürfte das dokumentarischen Oeuvre der in Breslau geborenen Weltenbummlerin ein Begriff sein. Ihre Fotos erschienen im Neuen Deutschland und waren vor der Wende in internationalen Ausstellungen zu sehen, darunter 1988 in Ostberlin. Heute zeigt die Fotogalerie Friedrichshain erneut einen Querschnitt aus Siaos Werk: Ihre Bilder rufen noch einmal den Beginn der chinesischen Moderne in Erinnerung, von dem die gegenwärtigen Umbrüche im Reich der Mitte nicht mehr viele Spuren gelassen haben. China baut jetzt seinen eigenen Transrapid und wird 2008 das Mega-Spektakel der Olympischen Spiele ausrichten. Den alten Idealen der Menschlichkeit bleibt der Spott der Geschichte, so wie Hermlin nach der Wende als „sozialistischer Grandseigneur“ angegriffen wurde. Eva Siao selbst starb im November 2001 im Alter von 90 Jahren. Die Welt ihrer Fotos ist also doppelt und dreifach vergangen.

Es ähnelt einer buddhistischen Übung, sich auf ihre Hommage an das einfache Leben, das tägliche Handwerk und ruhigen Frohsinn einzulassen. Ein Eierverkäufer hockt im Straßengraben und blickt stolz neben seiner fragilen Ware in die Kamera. Ein Kesselflicker beugt sich über seine Arbeit, während ihm zwei Jungs halb spöttisch, halb fasziniert zusehen. Beim Feierabend im Park ist kein einziges Buch und kein Radio zu sehen. Die alten Männer sitzen zusammen und reden, die jüngeren spielen ausgelassen mit ihren Kindern an den Fontänen.

Mit solchen Motiven bewies die Fotografin, die mit dem chinesischen Lyriker und Jugendfreund Mao Tse-tungs, Emi Siao, verheiratet war, schon immer ihr Gespür für ein China fernab vom staatstragenden Rummel mit Massenaufmärschen und Arbeiterchoreografien. Der Aufbruch in eine moderne Industrienation interessierte sie offensichtlich viel weniger die alten Handwerkstraditionen.

Das pathetisch übersteigerte Menschenbild und der paradox daran gekoppelte Maschinenkult, welche man in der frühen Arbeiterfotografie der Sowjetunion und der USA so häufig findet, blieben ihr ebenso fremd wie ein exotistischer Blick aufs Kameraobjekt, selbst wenn sie Mei Lanfang, den berühmten Darsteller der Peking-Oper, ablichtete.

Siaos soziologisches Interesse überwiegt den Kompositionswillen und führt zu aufschlussreich eingefangenen Details. Ein Bild zeigt Schulkinder, die mit erstaunlichem Selbstbewusstsein über die Straße stapfen; nicht jedenfalls so, als wären sie mit dem Stock erzogen worden. Im mittleren Raum der Galerie hängt eine Studie zu Lampionherstellern, Stempelmachern oder Elfenbeinschnitzern, die mit kundigen Fingern ihre Arbeit verrichten. Auf den Gedanken, eine Typologie im Sinne August Sanders anzulegen, ihre Subjekte also jenseits des unmittelbaren Arbeitszusammenhang zu zeigen, kam Siao offenbar nicht. Sie hält das Neue in den Gesichtern der Schulkinder fest, nicht aber generalisierend. Gesellschaftspolitische Perspektiven sucht man in diesen Bildern insgesamt vergeblich, weshalb sie ideologiefrei, aber auch ohne Pointe bleiben. Im Vergleich zu den Fotos, mit denen Ed van der Elsken die Umbrüche in Hongkong Ende der Fünfzigerjahre einfing, wirken sie regelrecht schal.

Die Ausstellung macht sich an der Person der Fotografin fest. Doch Siaos zweifellos fesselnde Lebensgeschichte ist inzwischen auch dem gesamtdeutschen Publikum bekannt, seit 1990 ihre Autobiographie „China – mein Leben, mein Traum“ erschien. Es wäre aufschlussreicher gewesen, zu erfahren, in welchem Diskurs ihr Werk eigentlich entstand. An welchen fotojournalistischen Standards wäre es etwa zu messen? Auch die Frage nach künstlerischen Vorbildern schiene angemessen in einer Auswahl von Bildern, die heute der Sammlung Ludwig gehört. So kann der Betrachter nur eine isolierte und fragmentierte Zeitreise in die jüngste chinesische Vergangenheit unternehmen.

HENRIKE THOMSON

„China im Aufbruch. Fotografien der fünfziger Jahre“ von Eva Siao. Bis 24. Mai in der Fotogalerie Friedrichshain am Helsingforser Platz 1 (S- und U-Bahn Warschauer Straße), Di.–Sa. 13–18 Uhr, Donnerstag 10–18 Uhr

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