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Doch nur so eine Phase

Brav und bieder, gefönt und sauber: Die einstige Stadionrockband Simple Minds begeisterte im Tempodrom ihre zunehmend kleinere Anhängerschaft und versetzte sie routiniert in die Großraumdiscos und Frühstücksclubs der Achtzigerjahre zurück

Das Heben der Arme, der Blick in die Ferne, die persönliche Begrüßung.

Nach dem Konzert beginnt die Arbeit: für den Kollegen von der Stadtzeitung, der ein paar Menschen aus dem Publikum nach ihrer Meinung zum Auftritt der Simple Minds befragen und dann knipsen muss; für die Roadies, die nach dem Schlussstück „Alive and kicking“ sofort die Bühne entern; und auch für die Posterverkäufer und Flyerverteiler. Der Rocksender „star fm“ lässt per Aufkleber verlauten, „nix für Muttiküsser“ zu sein – gestandene Rockisten küssen ihre Mütter nicht, ist ihnen peinlich –, und die Plattenfirma Eagle Records bewirbt das „brandneue Studioalbum“ der Simple Minds mit einem Gewinnspiel: „Wie viel Alben haben Simple Minds weltweit bislang verkauft: fünfzehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Millionen?“ Zu gewinnen gibt es eine Reise nach London, inclusive eines Abendessens mit den Simple Minds in einem „trendigen“ Londoner Restaurant.

Es sind dies wohl die alltäglichen Niederungen des Musikgeschäfts, in denen sich die Simple Minds inzwischen bewegen. Denn trotz ihres Status, eine typische Stadionrockband zu sein, trotz ihrer 25-jährigen Bandgeschichte, trotz ihrer großen Hits und auch trotz ihres Anspruchs, mehr als eine Revivalband zu sein: Für ihr neues, kreuzbraves Rockpop-Album „Cry“ interessiert sich weder die Popwelt großartig noch die vielleicht 2.000 Leute, die an diesem Freitagabend ins Tempodrom gekommen sind. Die sind hier, um die alten Hits der ursprünglich aus Schottland stammenden Band zu hören. Um Erinnerungsarbeit zu leisten. Um sich einige Momente aus ihrer Vergangenheit zu vergegenwärtigen.

Und diese sind von Generation zu Generation verschieden, wie folgender Dialog zwischen zwei Konzertbesuchern beweist: „Die Krombacher-Werbung geht mir inzwischen richtig auf die Nerven, ich kann das Stück bald nicht mehr hören.“ – „Wieso Krombacher-Werbung?“– „Na, weißt du das denn nicht? Das ist das Intro von „Belfast Child“. Das Stück war 1989 Nummer eins in England.“ – „Ach, da habe ich die Simple Minds nicht mehr gehört. Bei mir war bei mit „Once Upon A Time“ Schluss, danach gingen die mir endgültig auf die Nerven.“ Es war 1985, als sich Jim Kerr und seine Mitspieler mit dem Album „Once Upon A Time“ aufmachten, im Fahrwasser von U 2, Sting und Peter Gabriel die Welt zu verbessern und politisch korrekte Sendungen zu verkünden: Nelson Mandela befreien, den Regenwald retten und bedrohte Völker auch. Street fighting years.

Die Jahre davor galten sie als okaye, durchaus einflussreiche New-Wave-Band, die zuerst coole, urbane Soundtracks fabrizierte und später wunderliche, aber wunderschöne Märchenplatten wie „New Gold Dream“ oder „Sparkle In The Rain“. Selbst die Begeisterung für Letztere reichte in der niedersächsischen oder westfälischen Provinz aus, um von Mitschülern auf Außenseiterplätze verwiesen oder als ein wenig komisch eingeschätzt zu werden.

Natürlich wissen die Simple Minds, dass ihre Zukunft hauptsächlich in ihrer Vergangenheit besteht, „Cry“ hin oder her. Sie lassen auf der Bühne des Tempodroms fast keines ihrer Alben und keinen ihrer Hits aus. Einziger Schönheitsfehler: Den Songs geht die Magie ab. Jedes Stück klingt nach den Simple Minds der Jahre 1992–2002: brav und bieder, breitwandig und schmockig, gefönt und sauber. Home coming years eben. Es war wohl nur so eine Phase, sagt man sich im Verlauf des Konzerts. Irgendwie wichtig, aber doch nicht so, dass eine Neuauflage zumindest in Fragen der vergangenen Jugend einen Mehrwert oder neue Erkenntnisse versprechen könnte. Die Keyboard-Läufe von „The King Is White And In The Crowd“ klingen abgeschmackt, „Up On The Catwalk“ wirkt lächerlich in seiner Zappeligkeit, „Someone Somewhere In The Summertime“ fehlt der alte Zauber, und auch bei „Waterfront“ vermisst man die Ruppigkeit und den wütenden Bombast. Hauptsache, es fühlt sich gut an. Mehr will einer wie Jim Kerr nicht mehr. Schmalspur-Bono, Exmann von Chrissie Hynde und Exliebhaber von Patsy Kensit, sieht er aus wie eine feine Mischung aus Michael Schanze und Klaus Wildbolz, ausgestattet allerdings mit einer noch immer guten Figur.

Er müht sich mit den alten Gesten, die ihm schon beim Kreuzzug ins Glück der großen, gefüllten Stadien geholfen haben: das Spielen mit dem Mikrofonständer, das langsame Heben der Arme, der Blick in die Ferne, die persönlichen Begrüßungen. Nur ist das neue Tempodrom ein paar Nummern kleiner und nicht gerade ausverkauft. Den Simple Minds gelingt es trotzdem, Begeisterung aufzuschäumen. Zu „Belfast Child“ glauben die ersten Feuerzeuge dran, zu „Promise You A Miracle“ gibt es Sekt und verliebte Blicke, und zu „Don’t You, Forget About Me“ sind alle ganz aus dem Häuschen und wieder zurück in den Großraumdiscos und Frühstücksclubs der Achtzigerjahre.

Das hätte es dann gewesen sein können, „Don’t You“ war der Höhepunkt des Konzerts. Doch die Simple Minds spielen weiter und weiter und fügen sich an diesem Abend und für die nächsten 25 Jahre in das Schicksal, das sie in einem ihrer Songs perfekt formuliert haben: „And the band played on, and the world moved on.“

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