Schnöff, das Schwein

Lehrer, die wir laufen ließen (1). Heute: die fränkische Heimatkundekraft

Was sind das eigentlich für Menschen: Lehrer? Eine kleine Wahrheit-Serie zu einem ewig aktuellen Phänomen.

Lehrer sind auf der Skala der ekligen Berufe ganz weit oben angesiedelt. Davon kann nicht nur jeder Schüler ein strophenreiches Lied singen, das bestätigen auch Leute, die selber Lehrer sind und als Ausnahme die Regel bestätigen. Mein Bruder zum Beispiel, ein liebenswerter Mensch mit fränkischer Langmut, verwandelt sich, wenn es um seine Kollegen geht, in einen gnadenlosen Polemiker. Lehrer sind von Unfähigkeit, Blödheit, Arroganz, Inkompetenz geschlagen, sie sind Neidhammel, Intriganten, Arschkriecher, Menschenschinder, Sackgesichter … Eine Schimpfkanonade von geradezu Haddock’schen Ausmaßen ergießt sich dann aus dem Munde des freundlichen Vaters von zwei Kindern. Mit vielen Kollegen spricht er nicht mehr, er lebt abgekapselt in seinem Fachbereich und versucht ansonsten, die in der Schulhierarchie nach oben schleimenden Kollegen, für die die Schüler allenfalls lästige Insekten sind, aus Gründen des Selbstschutzes zu ignorieren, um nicht den letzten dürftigen Glaubensrest an die Menschheit zu verlieren.

Aber auf Geschichten aus zweiter Hand ist man gar nicht angewiesen. Jeder kann sich nur zu gut an traumatische Dinge aus der Schulzeit erinnern, und man begreift immer noch nicht so recht, warum man solche Gestalten auf Schüler losließ, statt sie in eine Anstalt zu stecken, wo sie kein Unheil hätten anrichten können.

Mein erster Albtraum hieß Helmut Schatz, ein Grundschullehrer, der mit lebhaften Kindern nicht umgehen konnte, weshalb er täglich Backpfeifen verteilte, so dass sich die in seiner Obhut befindlichen Sechs- bis Zehnjährigen über rote Wangen nie beklagen konnten. Von cholerischen Anfällen geplagt, stellte er uns häufig in die Ecke, damit wir die weiße Wand studieren konnten. Das war die übliche Behandlung, also nichts, was uns sonderlich beeindruckt hätte, aber als er in einem Wutanfall meinen Schulranzen, der ungefähr so groß war wie ich selbst, nahm, um ihn gezielt und mit voller Wucht nach mir zu werfen, da hatte ich richtiges Muffensausen. Er hätte mich mit dem Fünf-Pfund-Geschoss auch treffen können, und dann würde ich heute vermutlich als Krüppel rumlaufen. Ich hatte Glück, ich kam noch einmal davon.

Auf dem Gymnasium fiel ich dann in der Unterstufe einem Lehrer in die Hände, der auf den Spitznamen „Schnöff“ hörte und die Fächer Deutsch und „Erdkunde“ unterrichtete. In „Erdkunde“ kannte er sich aus. Seine Haus- und Klassenarbeiten wiesen immer das gleiche Schema auf: „Nenne sechs Nebenflüsse der Donau.“ Oder: „Nenne sechs Berge im Fichtelgebirge.“ Von der Zahl „sechs“ wich er nie ab, er war besessen von ihr. Sein Unterricht hat hervorragende Stadt-Land-Fluss-Spieler hervorgebracht, und noch heute brilliert eine ganze durch seine Schule gegangene Generation mit ausgezeichneten Kenntnissen von Hügeln, Bächen und Käffern in der Heimat. Insofern war er nicht mal unbeliebt, weil man sich als Schüler auf seine merkwürdige Schrulle einstellen konnte.

Unangenehm waren seine weltanschaulichen Darbietungen, die frappierende Ähnlichkeiten zu denjenigen aufwiesen, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren Konjunktur hatten. Er war ein Sauberkeitsfetischist und Zwangscharakter. „Die Weide biegt sich, die Eiche aber bricht“, lautete seine Begrüßung, während wir stramm stehen mussten. Als Ordnungsfanatiker achtete er peinlich genau auf korrekte Heftführung, und für die Anordnung von Heft, Buch und Stift auf der Schulbank gab es exakte Vorschriften. Zu allem und jedem hatte „Schnöff“ eine Meinung, die er uns lang und breit darlegte, und er wartete mit durchaus überraschenden Erkenntnissen in Detailfragen des Häuserbaus auf: Das Fehlen der Türschwelle, so echauffierte er sich einmal, markiere den Übergang von deutschem Kulturgut in die Barbarei. Geduckt und ängstlich versuchten wir, seiner höhnischen Verachtung zu entgehen, was häufig genug nicht glückte, denn es bereitete ihm großes Vergnügen, sich ein Opfer herauszufischen und vor der Klasse so lange zu quälen, bis Tränen flossen.

Als Zwölfjähriger war man ihm hilflos ausgeliefert, nur in der Fantasie konnte man gemeinsam darüber schwelgen, was man mit diesem Schwein – „Schnöff“ als grunzendes Geräusch war quasi die lautbildliche Vorlage für seinen Spitznamen – anstellen würde. Vierteilen? Sieden? In eine Häckselmaschine werfen? An den Ohren aufhängen? Einzelhaft bei Wasser und Schulheften als Brotersatz? Unsere Rache wäre schrecklich und süß gewesen, aber an die naheliegendste und einfachste Möglichkeit dachte damals niemand. Nobody is perfect. KLAUS BITTERMANN