peter unfried über Amerika
: Ein Traum von Milliarden Chicken-Wings

999 Gründe, Amerika zu lieben: 1. Schneller essen

Ein unscheinbarer Mann stand an einer kalifornischen Bushaltestelle. In seiner Rechten baumelte eine Papiertüte. Ich schnüffelte. „Kai-Äff-Siii“, sagte ich. Kentucky Fried Chicken. Um genau zu sein: Es waren KFC Original Recipe Wings. So was roch ich sofort. Ohne in die Tüte gesehen zu haben. „Uhahaha, mir wird schlecht“, stöhnte die Frau neben mir. Ihr Zeigefinger war anklagend auf die Tüte unseres amerikanischen Freundes gerichtet. Sie (würgend): „Ich muss gleich kotzen.“ Ich (sauer): „Du blödes Huhn.“ Ist doch wahr. Man darf doch so was nicht sagen. Als Deutsche. Ich hatte es ihr hundertmal gesagt: „Der Amerikaner will keine Kritik hören. Schon gar nicht von uns.“ Nicht nach all dem, was war. Das hat er nicht verdient. Wie abstrus etwas auch sein mag – wir müssen immer begeistert zustimmen. „Aber ich kann mich doch nicht so verbiegen“, sagte sie. Häh? „Nimm dir einfach ein Beispiel an unserem Außenminister“, zischte ich. Da musste sie sich übergeben. Der Bus fuhr dann ohne uns ab.

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Wie immer hatte alles wunderbar angefangen. Es war ein Wechsel vom Lausitzer Platz, Berlin-Kreuzberg, direkt ins Paradies. kalifornische Kleinstadt am Meer, ruhige Seitenstraße, in Fußnähe zwei Natural-Food-Läden. Und: McDonald’s, Burger King, Kentucky Fried Chicken, Taco Bell, ungefähr zehn Pizzaketten und der Schnapsladen. Der Schnapsladen ist Einzelhandel, das muss man eh unterstützen. Und außerdem kann man ja nicht ständig organische Zucchini essen. Damit mich keiner falsch versteht: Multinationale Korporationen sind natürlich nicht jedermanns Sache. Aber dafür kostet ein Cheeseburger bei Burger King: 49 Cent. Zwei Big Macs: 2,22 Dollars. Wie sagte ich immer? „Wenn sonst nichts fair ist, hahaha, die Preise sind es.“ Ich sagte: „Wenn unsere Freunde hier jährlich 129 Milliarden Dollar in Fast-Food-Restaurants anlegen, wer sind wir, das zu kritisieren?“ Und ab und zu ein Hamburger, Hotdog oder Tschickenwing hat noch keinem geschadet, sagte ich immer. Damals.

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Als sich unser Leben radikal änderte, lag ich im Bett und verschlang gerade die Erfolgsgeschichte des McDonald’s-Visionärs Ray A. Kroc. Plötzlich sie: „Hör mal: Wusstest du, dass in der Reagan-Administration der Landwirtschaftsminister der Vorsitzende der Fleischerinnung war?“ „Die sind hier halt pragmatisch“, sagte ich. „Wusstest du, dass Fleisch hier praktisch nicht kontrolliert wird?“ Wusste ich nicht. „Wusstest du, dass hier mehr Leute an Lebensmittelvergiftung sterben als an Aids?“ Wusste ich auch nicht. Dafür wusste ich, wer der Vollidiot war, der ihr Eric Schlossers Buch „Fast Food Nation“ (dt. „Fast Food Gesellschaft“, 23,90 Euro) geschenkt hatte. Ich.

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Um meinen Frieden zu bekommen, stieg ich in meiner Bettlektüre um auf John F. Kennedys „America the Beautiful“. Es half nichts. Ich musste mir anhören, wie verseuchtes Fleisch von Fast-Food-Ketten schön gerecht über das ganze Land verteilt wurde, damit auch jeder was abbekommen konnte. Man trug mir das Schicksal von Familien zu, die fröhlich das Fast-Food-Restaurant „Jack in the Box“ betreten hatten. Und kurz darauf ausgerottet waren.

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Seltsam: Dass die Gewinne der Fast-Food-Ketten auf Kosten der Gesellschaft gemacht werden, hatte ich natürlich schon immer gewusst. Aber als ich unlängst bei McDonald’s einen Burger für einen Penny kaufen wollte, hatte ich plötzlich in der Schlange gar keinen Hunger mehr. In der Nacht träumte ich, ich müsse die 5,89 Milliarden Chicken-Stücke allein essen, die Kentucky Fried Chicken jährlich weltweit verkauft. Und selbst wenn ich mir als Kompromiss den neuen „BK Veggie Burger“ anbot, hörte ich Stimmen in meinem Kopf das Wort „Aromalabor“ zischen.

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Das Ende kam dann aber doch überraschend. Bei einem geschäftlichen Termin mit einem Freund, der gerade frisch aus Berlin eingeflogen war. Wir saßen bei einem Eishockeyspiel in San Jose’s Compaq Center auf der Pressebrüstung – ganz oben unter dem Dach. Er wollte etwas zu essen holen. Ich beugte mich vor. Es ging bestimmt fünfzig Meter runter. Keine Absperrung. Mir wurde schwummerig vor Augen. Gottseidank kam er zurück. „Hey, Mann, ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte er. Oh, mein Gott. Es war ein Hotdog. Ich begann zu taumeln.

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Na ja. Immerhin begruben sie mich direkt unter dem Kunsteis des Compaq-Centers. In der Drittelpause. Zu den Klängen des Star Spangled Banner. Tja: Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so enden würde. Als Vegetarier. Danke, Amerika.

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