Expresszug ins Jenseits

Bei einem schweren Zugunglück in Großbritannien sterben sieben Menschen.Damit dürften auch die Tage des Transportministers Stephen Byers gezählt sein

DUBLIN taz ■ Alle Jahre wieder. Das Zugunglück im ostenglischen Ort Potters Bar, bei dem am Freitag sieben Menschen ums Leben kamen, ist der fünfte schwere Eisenbahnunfall in ebenso vielen Jahren. Diesmal war ein gebrochenes Rad schuld, vielleicht auch eine fehlerhafte Weiche. Die Regierung hat eine Untersuchung angeordnet.

Als der Expresszug, der vom Londoner Bahnhof Kings Cross in Richtung Cambridge unterwegs war, mit rund 150 Kilometern pro Stunde an Potters Bar vorbeifuhr, entgleiste der letzte von vier Waggons und raste auf den Bahnsteig. Sechs Passagiere starben, 24 Menschen wurden schwer verletzt. Der Waggon hatte eine Brücke teilweise zerstört, eine Passantin starb in den Trümmern.

Die politische Verantwortung, darin stimmen die britischen Medien überein, trägt Stephen Byers. Seine Tage als Transportminister dürften gezählt sein. Als Nachfolger wird der Labour-Parteichef Charles Clarke gehandelt. Der Observer fragte, wer von beiden sich größere Sorgen machen müsse. Es gibt keinen undankbareren Job im britischen Kabinett als den des Transportministers. Die Labour Party hat vor 5 Jahren von den Tories ein heruntergekommenes privatisiertes Bahnnetz geerbt, in das in den nächsten 10 Jahren mindestens 33 Milliarden Pfund investiert werden müssen. Dennoch sagte Premierminister Tony Blair, dass „die Eisenbahn keine Priorität“ habe. Railtrack, das für das rund 37.000 Kilometer lange Schienennetz, die Signalanlagen und 2.500 Bahnhöfe zuständig war, ging im Oktober pleite. Byers stellte die Firma unter Zwangsverwaltung, die die Regierung täglich eine Million Pfund kostet. Demnächst soll das Unternehmen an Network Rail, eine Art öffentliche Stiftung, übergehen. Ian McAllister, der Aufsichtsratsvorsitzende, kündigte „spürbare Verbesserungen binnen weniger Monate“ an.

Ähnliche Versprechungen hatte auch Railtrack nach der Privatisierung gemacht. Doch dann führte das Unternehmen nur die notdürftigsten Reparaturen durch. Man kann Byers die Unfälle nicht persönlich anlasten, er ist erst seit einem Jahr im Amt. Doch in dieser kurzen Zeit hat er seine Glaubwürdigkeit restlos verspielt. Seine Pressesprecherin Jo Moore empfahl ihm nach den Anschlägen am 11. September, die schlechten Nachrichten über den Zustand der Bahn zu veröffentlichen. Niemand würde das angesichts der Nachrichten aus den USA wahrnehmen. Byers’ Berater Martin Sixsmith machte ihre Vorschläge öffentlich und kritisierte auch seinen Chef. Der warf Sixsmith hinaus und zahlte ihm 200.000 Pfund Abfindung. Noch am Donnerstag rügte Byers „das Geschwätz“ seiner Kritiker und erklärte, er würde sich jetzt gern um die wirklichen Probleme kümmern. Keine 24 Stunden später wurde sein Wunsch erfüllt. RALF SOTSCHECK