Auf der Suche nach Mäusepang

■ Von Salamischeiben und anderen Lesezeichen: Die Bremer Stadtbibliothek wird morgen hundert Jahre alt – gefeiert wird mit einer Ausstellung

Morgen beginnen die viertägigen Geburtstagsfeierlichkeiten mit einer Ausstellungseröffnung und Lesungen. Über die Geschichte der Stadtbibliothek von der ersten Lesehalle bis heute, über die Veränderungen des Bibliothekarberufs, über alte und neue Konzepte sprach die taz mit Stadtbibliotheksleiterin Barbara Lison.

taz: Es gab schon 1791 die erste Leihbibliothek in Bremen. Warum orientieren Sie sich an der 1902 gegründeten Lesehalle am Ansgarikirchhof für Ihr Jubiläum?

Barbara Lison: Eine Leihbibliothek ist etwas anderes als eine öffentlich zugängliche Bibliothek. Die Leihbibliotheken waren wie private Vereine organisiert. Die öffentlichen Lesehallen waren die ersten, die für alle da waren, gegründet von einem Verein wohlmeinender und wohlhabender Bremer Bürger.

Woher kamen die ersten Bücher?

Die sind gekauft worden. Der Verein hatte ein Vermögen durch großzügige Sponsoren. Der spätere Bürgermeister Victor Wilhelm Marcus spendete 35.000 Mark. Das wären heute etwa zwei Millionen Euro. Davon wurde das Gebäude am Ansgarikirchhof gebaut. Für den professionellen Aufbau holten sich die Bremer den damaligen Bücherhallenbewegungs-Papst, Arthur Heidenhain. Die Nazis haben ihn später aus „rassischen Gründen“ entlassen.

An wen richtete sich das Angebot?

An die unteren Schichten, Handwerksgesellen, Hausmädchen, Boten. Die Öffnungszeiten richteten sich auch nach ihnen: Unter der Woche bis 21 Uhr und auch am Sonntag war geöffnet. Man musste mit gewaschenen Händen kommen. Man ging an eine Ausleihtheke und nannte dort seine Interessen. Die Bibliothekarin suchte dann das passende Buch dazu raus.

Man bekam das passende Buch verordnet?

Ja. Diese Einrichtungen entstanden aus einem pädagogischen Gedanken. Daher kommt auch der Begriff „das gute Buch“. Dieser Anspruch hat uns bis in die sechziger Jahre nicht verlassen. In den Fünfzigern gab es Diskussionen um „Schund- und Schmutzliteratur“. Karl May etwa durfte nicht ausgeliehen werden. Er war nicht pädagogisch genug.

Was macht eine gute Bibliothek heute aus?

Offenheit, Dienstleistungsbereitschaft der MitarbeiterInnen, Kundenfreundlichkeit, und: Ein guter Bibliothekar kann erkennen, was ein Kunde will. Denn die Fragen, die gestellt werden, drücken häufig nicht aus, was der Mensch sucht: „Da gibt es einen Schriftsteller, der heißt Mäusepang.“ Kriegen Sie mal raus, dass damit Guy de Maupassent gemeint ist.

Wie sehen Sie das Dezentralisierungskonzept heute, dass in jedem Ortsteil eine Bibliothek sein sollte?

Die Idee war faszinierend. Wir hatten mal 44 Bibliotheken in Bremen. Man wollte in jeder Schule eine kombinierte Schul- und Stadtteilbibliothek.

Wieso konnte man in den Siebzigern so viele Bibliotheken eröffnen?

Der Bildungsanspruch war groß. Außerdem hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, was Staatsverschuldung zehn Jahre später bedeutet. Und es gab nicht so eine Medienvielfalt, man konnte das Angebot leichter aufbauen.

Was halten Sie vom aktuellen Trend zur Zentralisierung?

Das kann ich so nicht bewerten. Ich bin nicht politisch in der Lage, alleine über Standorte zu entscheiden.

Was wird besser mit der neuen Zentralbibliothek?

Wir wollen das Vorhandene besser präsentieren, einen Kulturort in der Innenstadt aufbauen. Ich persönlich hätte gerne einen Lesegarten im Atrium. Den Umzug wollen wir per Menschenkette machen.

Was erwartet uns in der Ausstellung über die Bibliothek?

Hundert Bücher für hundert Jahre, für jedes Jahr ein wichtiges Stück. Und eine Sammlung von Lesezeichen. Man glaubt gar nicht, was die Leute alles in Büchern liegen lassen. Das ist zum Teil nicht jugendfrei. Die Wurstsscheibe, die wir mal gefunden haben, kann man aber nicht mehr sehen. Die haben wir weggetan.

Fragen: Ulrike Bendrat