Aufschwung für den Streik

Metaller legen in sechs Betrieben der Region für einen Tag die Arbeit nieder. Nur am Rande gibt es Rangeleien, sonst herrscht eher Volksfeststimmung. Bis Freitag streiken rund 10.000 Beschäftigte

von RICHARD ROTHER

Um Punkt zwölf gibt es Mittag: Kartoffelsuppe mit Bockwurst und Schrippe. Die streikenden Metaller beim Turbinenhersteller Alstom Power in Pankow stellen sich der Reihe nach an, nehmen ihre Mahlzeit in Empfang und machen es sich auf den Holzbänken in einem Bierzelt vor dem Werkstor gemütlich. Aus der professionellen Musikanlage dröhnen Phil Collins, Chumbawamba und Johnny Cash – und alles sähe aus wie ein gewöhnliches Ostberliner Gartenfest, fehlte auf den Holztischen nicht das Bier und hinge am Zaun kein Transparent: „Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze“, haben die Metaller auf roten Fahnenstoff gesprüht.

Rund 50 der ungefähr 300 Beschäftigten, die seit der Nachtschicht im Ausstand sind, sind zum Streikmittagessen gekommen. Ihre Gespräche drehen sich um die Schulnoten ihrer Kinder, um Michael Schumacher und um die Kollegen. „Sag mal, wo ist denn deine Kollegin?“, fragt ein älterer Mann eine Angestellte um die 40. „Da drin irgendwo“, sagt die Frau und nickt mit dem Kopf kurz Richtung Werkstor. Drei oder vier Kollegen haben sich nicht dem Streik angeschlossen. „Muss halt jeder wissen, was er tut“, kommentiert ein Turbinenschlosser, der seit 1982 in dem Betrieb arbeitet. Jetzt, findet er, sei die Zeit gekommen, auch in Ostberlin gleiche Arbeitsbedingungen wie im Westen zu haben. Bei Alstom wird 37 Stunden pro Woche gearbeitet, im Tarifgebiet West 35 Stunden.

Auch die Forderung nach deutlich mehr Lohn kommt gut an. „Alles wird teurer, erst recht seit dem Euro“, sagt ein anderer Schlosser. Auf dem Kopf trägt er eine rote Schirmmütze, auf der nicht IG Metall, sondern „Eisern Union“ steht. Die Manager würden immer mehr verdienen, nun seien die Arbeiter dran. Dass der eintägige Streik die Firma gefährden könnte, glaubt der Turbinenschlosser nicht. „Wir haben genügend Aufträge.“

Bereits am Morgen hatte IG-Metall-Vize Jürgen Peters die streikenden Beschäftigten bei DaimlerChrysler in Marienfelde auf den Arbeitskampf eingeschworen. „Wir streiken die Konjunktur nicht kaputt“, so Peters vor mehreren hundert Beschäftigten, „wir streiken den Aufschwung herbei.“ Mehr Geld in den Taschen der Beschäftigten bringe die Wirtschaft in Fahrt.

Die IG Metall streikte gestern in insgesamt sechs Betrieben in der Region: bei DaimlerChrysler in Marienfelde, dem Aufzughersteller Otis, Alstom Power in Pankow, dem Anlagenbauer Babcock Borsig, dem Getriebehersteller ZF in Brandenburg und bei Bombardier in Hennigsdorf. Heute sollen die Aktionen in drei Berliner und zwei brandenburgischen Betrieben fortgesetzt werden. Bis Freitag werden insgesamt 10.000 Metaller in 25 Betrieben je einen Tag streiken.

In allen betroffenen Betrieben stand gestern die Produktion still. Bei Otis habe die Werksleitung zunächst versucht, einige Tore zum Betriebsgelände mit Gewalt offen zu halten, sagte Streikleiter Günter Triebe. Dabei sei es zu Rangeleien gekommen. Der Streit sei dann aber friedlich beigelegt worden.

Ruhig blieb es auch bei Alstom Power, als es am frühen Nachmittag dem Ende der „Frühschicht“ zugeht. Die Beschäftigten holen sich ihren Stempel für die Streikunterstützung der Gewerkschaft ab, und ein Metaller fragt die Organsiatoren, wo das Bier bleibe. „Ich weiß auch nicht, wer diesen Tagesordnungspunkt so weit nach hinten gelegt hat.“ Per Mikrofon entschuldigt sich einer der Organisatoren, dass die Fässer noch nicht da seien. „Vielleicht streiken die Bierfahrer ja auch.“ Die Männer und Frauen im Zelt lachen. „Wär schade, aba ick könntet vastehn“, sagt einer. „Von nüscht is nüscht.“

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